Gestalttherapie im Umbruch

Gestalttherapie im Umbruch

von: Frank-M. Staemmler (Hg.)

Edition Humanistische Psychologie, 2001

ISBN: 9783897975491

Sprache: Deutsch

223 Seiten, Download: 1299 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Gestalttherapie im Umbruch



Verantwortung im sozialen Prozess – eine gestalttherapeutische Perspektive (S. 33-34)

Verantwortung ist ein Begriff, der von einem dichten Nebel umgeben ist. Dies gilt leider auch für den Umgang mit diesem Begriff bei Fritz Perls, der sonst so gern provozierte, indem er die negativen Seiten an positiv besetzten Alltagsbegriffen klar herausarbeitete. Zur Verantwortung jedoch sagte er etwa eher nebulös als provozierend oder begrifflich klar: »Es gibt immer die Möglichkeit zu größerer Reife – dazu, mehr und mehr Verantwortung für dich selbst und dein Leben zu übernehmen « (Perls 1974, 72). Statt im Nebel zu stochern, möchte ich den Begriff differenzieren und für die therapeutische Arbeit verwendbar machen.

1. Der Begriff der Verantwortung

In der Verwendung des Wortes Verantwortung sind drei Formen zu unterscheiden:

(1) Faktisch verantwortlich sein oder Verantwortung haben,
(2) sich subjektiv verantwortlich fühlen oder Verantwortung übernehmen und
(3) jemand anderen verantwortlich machen oder Verantwortung übertragen.

(1) »Verantwortlich sein« oder »Verantwortung haben« bezeichnet, dass jemand seine Handlung kontrolliert (oder wenigstens kontrollieren sollte) und sich für eventuelle negative Folgen seiner Handlung verantworten muss. Der Kapitän, der bei schwerer See die Brücke verlässt, um die Übertragung eines Fußballspiels im Fernsehen anzuschauen, ist verantwortlich für den Untergang seines Schiffes, weil er es in der Hand gehabt hätte, seinen Kommandoposten nicht zu verlassen. Der Kapitän, der im Unwetter alles tut, um das Schiff zu retten, es aber nicht vermag, ist nicht für den Untergang verantwortlich. Ein schwierige Frage lautet, wie eine Situation eingeschätzt werden soll, in der jemand die Kontrolle über seine Handlungen mutwillig reduziert hat, etwa durch Alkoholmissbrauch. Diese Schwierigkeit zeigt sich etwa auch in der ambivalenten strafrechtlichen Behandlung: Wer in betrunkenem Zustand einen Mitmenschen tötet, erhält wegen Unzurechnungsfähigkeit mildernde Umstände, wer dagegen in betrunkenem Zustand in einen Autounfall verwickelt wird, erhält eine härtere Strafe, weil er in diesem Zustand nicht hätte Auto fahren dürfen.

(2) »Verantwortlich fühlen« oder »Verantwortung übernehmen« bezeichnet, dass jemand ein bestimmtes Ereignis als durch seine Handlung verursacht ansieht, einerlei, ob dies faktisch nun der Fall ist oder nicht. Das Gefühl, für die Folgen seiner Handlung verantwortlich zu sein, schließt immer ein, dass der Verantwortliche bemüht sein wird, eventuelle Schäden wieder gutzumachen. Ein besonderes Problem wird dies, wenn die Schäden irreparabel sind. So kann der Kapitän, der für den Untergang seines Schiffes verantwortlich ist und sich auch verantwortlich fühlt, die Ertrunkenen nicht wieder zum Leben erwecken. Oder: Der Vater, der sich für die Schwierigkeiten seines erwachsenen Sohnes verantwortlich fühlt, kann die vergangene Vernachlässigung nicht aufheben.

(3) »Verantwortlich machen« oder »Verantwortung übertragen« bezeichnet, dass über jemanden gesagt wird, er kontrolliere bestimmte Handlungen und müsse für eventuelle negative Folgen aufkommen, egal, ob er sich verantwortlich fühlt oder nicht. Wenn sich der, der verantwortlich gemacht wird, nicht verantwortlich fühlt, entsteht ein Konflikt. Der Kapitän, der die Brücke verlassen hat, kann sich verteidigen, indem er darauf hinweist, dass er die Verantwortung seinem ersten Offizier übertragen habe, der wiederum seiner Verantwortung nicht nachgekommen ist. Gleichwohl bleibt der Kapitän der Reederei gegenüber verantwortlich, weil er hätte sicherstellen müssen, dass der erste Offizier seiner Verantwortung nachkommt. Oder: Der Vater, den der erwachsene Sohn für seine Schwierigkeiten verantwortlich macht, lehnt dies ab und sagt, der Sohn sei selbst für sein Leben verantwortlich.

Kategorien

Service

Info/Kontakt