Das Vermüllungssyndrom - Theorie und Praxis

Das Vermüllungssyndrom - Theorie und Praxis

von: Peter Dettmering, Renate Pastenaci

Verlag Dietmar Klotz, 2002

ISBN: 9783880742956

Sprache: Deutsch

153 Seiten, Download: 676 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Das Vermüllungssyndrom - Theorie und Praxis



DIE ROLLE DES SOZIALPSYCHIATRISCHEN DIENSTES BEI DER BETREUUNG PSYCHISCH KRANKER (S. 115-116)

von Peter Dettmering

Die Sozialpsychiatrischen Dienste Westberlins - früher Nervenberatungsstellen genannt - befinden sich in einer Situation des Überganges, die nicht zuletzt mit dieser Namensänderung zusammenhängt. Nach wie vor obliegt ihnen die Unterbringung psychisch Kranker und Gestörter, d. h. sie haben zunächst einmal - im Rahmen des Gesundheitsamtes - Ordnungsfunktion. Zugleich aber haben sie schon durch ihren Namen Anteil an der großen reformerischen Bewegung, die sich als Sozialpsychiatrie eine Stellung neben der klassischen, „intramuralen" Psychiatrie und der psychologisch orientierten Medizin erobert hat. Die uns hieraus erwachsende Verpflichtung faßte ein Kollege, der eine Weile im Sozialpsychiatrischen Dienst Charlottenburg gearbeitet hat, kürzlich in die Worte, er könne zwischen dem Sozialpsychiatrischen Dienst und der Sozialpsychiatrie im großen keinen Unterschied wahrnehmen.

Diese Bemerkung trägt sicherlich den Gegebenheiten nicht ausreichend Rechnung, doch kann kein Zweifel bestehen, daß der Gegenstand therapeutischer Bemühungen hier wie dort die gleiche gesellschaftliche Wirklichkeit ist. Nun ist es bekanntlich schwer, zwei Herren zu dienen oder, etwas weniger bildhaft ausgedrückt, zwei verschiedenen Verpflichtungen zu genügen. In der Praxis äußert sich das in der Regel so, daß wir erst dann, wenn wir unserem Ordnungsauftrag Genüge getan haben, unserer sozialpsychiatrisch-therapeutischen Verpflichtung nachkommen können. Wie Querido, Amsterdam, in seiner lesenswerten Darstellung der Entwicklung des dortigen Sozialpsychiatrischen Dienstes dargelegt hat, geht es nicht nur darum, die Zahl der Einweisungen herabzudrücken, sondern „einer Gruppe von Menschen und Familien zu besserem Wohlbefinden zu verhelfen". Angesichts dieser sehr anspruchsvollen Zielsetzung müssen wir uns jedoch fragen, was davon in unser Tun und unser Bewußtsein bisher eingedrungen ist und wieviel davon sich unter den gegenwärtigen Bedingungen verwirklichen läßt.

Meine Ausführungen verfolgen die Absicht, ein Bild von unserer Arbeit und den dabei auftretenden Schwierigkeiten zu vermitteln und auf diesem Wege aufzuzeigen, wo wir - die Mitarbeiter eines der Sozialpsychiatrischen Dienste Westberlins - heute stehen. Wenn wir das Verhältnis zwischen dem, was ist, und dem, was nach Meinung einiger Leute sein sollte, realistisch zu sehen versuchen, so muß zunächst hingewiesen werden auf den Konflikt zwischen dem Druck der Öffentlichkeit und dem Interesse des einzelnen Individuums, der in irgendeiner Form ständig für uns spürbar ist. Das öffentliche Interesse zielt bekanntlich in den meisten Fällen darauf ab, den psychisch Kranken oder Gestörten dauernd oder vorübergehend auszugliedern, ihn in Kliniken oder Heimen dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen. Demgegenüber versuchen wir abzuwägen, ob der Patient tatsächlich eine akute Gefahrdung der Umwelt darstellt oder ob auf Seiten der Umwelt phantastische Vorstellungen, Ängste und Projektionen im Spiel sind.

Wie kürzlich G. Bosch aus Hannover in Berlin berichtete, gibt häufig sozialer Druck und nicht medizinische Notwendigkeit den Ausschlag für eine Zwangsunterbringung - eine Tatsache, die wir nur bestätigen können. Aus dieser Einsicht heraus versuchen wir, dem Patienten so lange wie möglich das Leben draußen - extramural - zu ermöglichen und ihn in seinem vertrauten Milieu, seinen eigenen vier Wänden zu belassen.

Kategorien

Service

Info/Kontakt