In Schlucken-zwei-Spechte - Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege

In Schlucken-zwei-Spechte - Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege

von: Harry Rowohlt, Ralf Sotscheck

Fuego, 2013

ISBN: 9783862870776

Sprache: Deutsch

236 Seiten, Download: 2454 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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In Schlucken-zwei-Spechte - Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege



RALF SOTSCHECK: Wir haben gestern über deine Schul­zeit gesprochen. Hast du danach gleich mit der Lehre ange­fangen?

HARRY ROWOHLT: Nee. Erstmal mußte ich bei meiner Mutter noch ein bißchen Händchen halten. Die spielte in Baden-Baden in einem Fernsehspiel mit und hatte Schiß davor. Ich meine, als Schauspielerin soll sie schauspie­lern oder es lassen, aber nicht herumzicken. Dann durf­te ich endlich, weil ich Abitur hatte, alleine nach Paris. Das war sehr angenehm. In Paris habe ich Edmond Lu­trand kennengelernt, Rowohlt-Vertreter und litera­rischer Agent. Obwohl das Wort Agent nicht zu ihm paßt, da stellt man sich etwas anderes vor. Er und seine Frau Rita waren Ansprechpartner und Beichtiger von Autoren. Ich habe Paris erlebt und fand das wunderbar. In der Rue des Rosiers hatte ich eine Stammkneipe namens San Juan-les-Pins. Die wurde von arabischen Juden betrieben, und ein Ballon de rouge ordinaire kostete einen Franc. Dazu gab es vier Untertassen mit Essen, weshalb man für fünf Franc bestens ernährt war und auch ganz leicht einen im Tee hatte. Außerdem gab es tolle arabische Musik.

Was hast du denn in Paris gemacht, außer die Kneipen­szene zu studieren?

Ich habe die Gegend erkundet, und Edmond Lutrand erzählte, er hätte mal in den Hallen gearbeitet. Weil er ziemlich klein war, habe ich ihn etwas ungläubig ange­sehen. Er sagte: »Stellen Sie sich mal gerade hin.« Das habe ich gemacht, und dann hat er mich mit einem Arm um die Hüfte gefaßt und hochgehoben. »Sagen Sie Be­scheid, wenn ich Sie wieder runter lassen soll.« Eddie war nämlich Spanienkämpfer und danach in Paris in der Résistance. Und zwar im Untergrund, was insofern etwas paradox klingt, weil er für die Dächer im Quartier Latin verantwortlich war. Damals war ich noch schwin­delfrei, und er hat mich auf eine Tour über sein altes Wirkungsfeld mitgenommen. Wir sind über die Dächer gekraxelt, haben uns hin und wieder an einem Schorn­stein festgehalten und eine Zigarette geraucht. Er er­zählte mir, daß er heute noch durchschnittlich zweimal die Woche schweißgebadet aufwacht, weil er vom Dach mal eine Granate auf einen Waffen-SS-Trupp runterge­schmissen hat, daß ihm deren Zähne um die Ohren geflogen sind. Damit ist er nicht fertig geworden. Ich hab ihm gesagt: »Eddie«, denn inzwischen duzten wir uns, »du spinnst doch. Du als Jude und Linker und Spa­nienkämpfer wärst doch zu allererst dran gewesen.« Und Eddie sagte: »Ja, aber das nützt mir nichts, daß ich das weiß.« Es hat ihn mitgenommen, daß er keinen von denen persönlich kannte, so daß er auch auf keinen einzelnen eine persönliche Wut hätte entwickeln kön­nen. Deshalb kam er sich als Massenmörder vor, was ja sehr für ihn spricht. Daß er in der Résistance gekämpft hatte, hielt er so geheim, als wäre er in der Waffen-SS gewesen, weil er Angst hatte, er würde sonst diesen kleinen roten Knopf von der Ehrenlegion verpaßt be­kommen. Und er kannte viele Honoratioren, die mit diesem kleinen roten Knopf herumliefen und die er alle nicht leiden konnte. Zu dieser Sorte wollte er nicht gehö­ren. Eddie war wirklich ein großer Held.

Weil wir immer nach Griechenland fuhren, hat er mal gefragt, ob es dort Esel gebe. Ich hab ihm gesagt: »Ja. Nicht viele, aber ein paar gibt es dort schon.« »Gut«, sagte er, »dann komme ich nicht.« Er hatte nämlich mit Hilfe von bis zu zehn Eseln immer Waffen und Munition über die Pyrenäen geschmuggelt. Und wenn dann unse­re Landsleute von der Legion Condor ankamen, mußte er bis zu zehn Esel verstecken. Aber Esel machen ja bekanntlich, was sie wollen. Die sehen nicht ein, daß die Legion Condor kommt und man sich deshalb jetzt besser mal unter eine Platane begibt, wo man nicht gesehen werden kann, besonders wenn man mit Dynamit bela­den ist.

Wo war denn der Rest der Familie, während du in Paris warst?

Meine Mutter war in Baden-Baden. Das war die Zeit, als sie von mir verlangte, daß ich ihr wegen des Fernseh­spiels beistehe, was ich nun als Gipfel der Unprofessio­nalität empfand. Als ich gerade eine knappe Woche in Paris war, hat sie angerufen, ich solle sofort zurückkom­men, was mir gar nicht paßte. Ich hatte mir nämlich kurz vor Ostern eine Eintrittskarte für ein Seder-Mahl gekauft, und zwar aus ethnologischem Interesse, ein se­phardisches Seder-Mahl. Auf dem Plakat stand: »Orien­talischer Ritus, für die Haus­an­ge­stellten von Groß-Pa­ris«, und da dachte ich, daß ich auf diese Weise an die ganzen schönen schwarzen Jemenitinnen und die äthio­pischen Jüdinnen herankäme. Aber meine Mutter sagte: »In Baden-Baden gibt es doch auch eine Synagoge. Ich melde dich für das hiesige Seder-Mahl an.« Das war kein richtiger Ersatz, aber immerhin. In Baden-Baden habe ich kurz vor die­sem Seder-Mahl noch Karl Marx be­sucht.

Ich dachte, der liegt in London?

Karl Marx war damals Herausgeber der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, die inzwi­schen umbenannt wurde. Sie heißt immer noch so ähn­lich, bloß nicht mehr ganz so lang. Marx mußte aus gesundheitlichen Gründen ganz oben auf dem Berg wohnen und traute sich nur selten ins Tal nach Baden-Baden. Marx sagte: »Das mit dem Seder-Mahl inte­res­siert mich sehr. Gleich danach müssen Sie mich mal anrufen. Der Wachsmann, der neue Gemeindeälteste, hat nämlich keine Ahnung.« Es wurde dann sehr schön. Alle fingen an zu essen, nur wir nicht. Wachsmann rief zu uns rüber: »Warum fangt ihr denn nicht an zu es­sen?« Sagt der Wieselmann zum Wachsmann: »Wir war­ten auf’s Ge­miiese!« Sagt der Wachsmann zum Wiesel­mann: »Worauf wartet ihr? Auf’n Messias?« »Nein«, sagt der Wieselmann zum Wachsmann, »auf’s Gemüüüse!« Das fand ich sehr komisch, und als es vorbei war, habe ich den Marx angerufen und ihm alles erzählt. »Ja«, sagte Karl Marx, »der Wachsmann hat eben keine Ah­nung.« Noch heute, wenn ich den Namen Wachsmann hör, denke ich: »Der Wachsmann hat eben keine Ah­nung.«

Was hat der Wachsmann?

Keine Ahnung. Mit dem Namen Moskowitz ist das ähn­lich, da gibt’s von Georg Kreisler ein Lied auf seiner LP »Nichtarische Arien«. Das Lied handelt von Onkel Jo­schi, der sich immer schlecht benimmt, und er kommt irgendwo herein und sagt: »Sind Sie nicht der Mosko­witz, der Steuerschulden hat?« Und seitdem ist für mich klar, der Wachsmann hat keine Ahnung, und der Mos­ko­witz hat Steuerschulden.

Und nach dem Seder-Mahl in Baden-Baden?

Danach bin ich in die Lehre gegangen, nach Frankfurt am Main. Suhrkamp und Insel hatten gerade fusioniert. Zunächst wohnte ich bei Frau Ruff in einem möblierten Zimmer zur Untermiete. Das war die Hölle. Sie wäre es zumindest gewesen, wenn ich es zuhause nicht immer so furchtbar gefunden hätte. Ich habe da morgens Nescafé getrunken und ungetoastetes Toast­brot mit Erdnußbut­ter gegessen, was zuhause undenkbar gewesen wäre. Das ist für mich heute noch der Geschmack der Freiheit: ungetoastetes Toastbrot mit Erdnußbutter und dazu Nescafé, durch den die Erdnußbutter am Gaumen schmilzt. Traumhaft. So war das bei der wahnsinnigen Frau Ruff.

Bei uns gab es einmal im Monat Erdnußbutter, dazu frisches Weißbrot. Ich erinnere mich noch daran, wie man stundenlang versuchte, das Zeug mit der Zunge vom Gaumen abzukratzen. Aber wie war denn deine Lehre, mal abgesehen von Erdnußbutter und der wahn­sinnigen Frau Ruff?

Als Lehrling bin ich die logischen Stationen durchlau­fen... oder habe ich sie durchlaufen?

Es ist transitiv.

Also habe ich sie durchlaufen. Praktisch wie ein Buch. Angefangen habe ich in der Herstellung, die schönste Abteilung, bei der man als Lehrling gleich zu Anfang am meisten zu lernen hat. Satzanweisungen schreiben, Druckanweisungen schreiben – dabei merkt man tat­sächlich, daß man etwas lernt. Mein direkter Vorgesetz­ter, Gerd Stroucken, der sehr viel später mein Trau­zeu­ge wurde, war vorher am Eigelstein hinter dem Kölner Hauptbahnhof Zuhälter und Schriftsetzer gewe­sen – mit der Begründung: »Eins wird immer ge­braucht.« Der hat mich nach allen Regeln der Kunst ausgebildet. Unser Herstellungs- und Abteilungsleiter war glücklicherweise auch kein Frankfurter. Herr Ben­­dixen kam aus Flens­burg. Er war, wie alle Nordfrie­sen, nicht sehr über­schwenglich. Wenn man etwas wirk­lich toll gemacht zu haben glaub­te, sagte er: »Ja, das ist gar nicht mal so gut.« Er wurde später wegen Suffs gefeuert. Dabei hät­ten wir ihn in der Herstellung mit durchgefüttert, wenn er sich nicht so dämlich angestellt und immer gesagt hätte: »Ich habe Tabletten genom­men.« Als er längst gefeuert war, ist er noch monatelang morgens von zu­hause weggegangen, hat sich in eine Kneipe gegenüber vom Suhrkamp Ver­lag gesetzt und immer geguckt, wie wir morgens hinka­men und abends wieder weggingen. Das ist alles sehr traurig. Er lag zum Schluß nur noch vor dem Fernseher und ging seltsamer­weise, was ich gar nicht verstehen kann, nur vom Bier kaputt. Er trank gar keinen Schnaps, er aß nicht, be­wegtanderene sich nicht, trank nur un­geheuere Mengen Bier und rauchte.

Die Abteilungen waren auch sehr angenehm. Weil Suhrkamp mit Insel fusioniert hatte, kamen wir in den Genuß der Insel-Kantine. Dort kochte Frau Schiller im Keller. Ihr Hund Senta, ein Schäferhund, bellte im­mer von oben durchs offene Fenster in die Erbsensuppe hinein. Dieser Frau Schiller habe ich einen sehr schmei­chelhaften Vorfall mit Walter Boehlich zu verdanken. Frau Schiller fragte mich, wie groß ich sei? Und ich sagte: »Laut Personalausweis, ein Meter sechsundacht­zig.« Und Frau Schiller, die aus dem Sudetenland stammte, sagte: »Do hätt der...

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