Bitte laufen Sie rechts ran! - Laufbuch - Träume eines Läuferlebens

Bitte laufen Sie rechts ran! - Laufbuch - Träume eines Läuferlebens

von: Markus Heidl

AmpelPublishing, 2023

ISBN: 9783757958589

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 2922 KB

 
Format:  EPUB

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Bitte laufen Sie rechts ran! - Laufbuch - Träume eines Läuferlebens



Kaisa, I


Wie hatte er sie nur einfach so davonlaufen lassen können? Er wusste fast nichts über sie – nur das, was sie ihm in den knapp fünfzehn Minuten gemeinsamen (und wundervollen!) Dauerlaufs erzählt hatte: dass sie für ihr Studium nach Deutschland gekommen war und perfekt unsere Sprache beherrschte, weil ihr Großvater aus Deutschland kam und sie als Kind viel Zeit mit ihm verbrachte.

Außerdem natürlich, dass sie leidenschaftliche Läuferin war und alles dafür tat, um schneller zu werden. Aber wo sie wohnte, wie sie mit Nachnamen hieß, gar ihre Telefonnummer? Natürlich nichts. Die so leichthin in Aussicht gestellte Verabredung zum gemeinsamen Lauf, die sein Herz so viel schneller hatte schlagen und vor Glück überschäumen lassen, war alles, an das er sich festklammerte. Es war zum Verrücktwerden!

Verrückt wurde er wirklich! Der erste Gedanke am nächsten Morgen galt nur ihr. Er wollte sie beim Laufen wiedertreffen. Er musste sofort hinaus in den Wald, auf die Felder, um sie wiederzusehen. In der kommenden Woche lief er so oft wie noch nie. Seine Runden wurden dabei immer länger und kreisten immer um den „gemeinsamen“ Fleck – jenen Fleck, bei dem er kurz den Moment genossen hatte und anschließend von ihr angesprochen worden war.

Aber er sah sie einfach nicht. Wie lange er auch lief, wie sehr er sich auch ihre Silhouette am Horizont erhoffte, wie oft er auch den gemeinsamen Fleck umkreiste und alles andere um sich herum vergaß, sie tauchte einfach nicht auf. Beim Aufstehen dachte er nur daran, dass er laufen müsse, um ihr endlich wieder zu begegnen; wenn er dann wiederkam, plagten ihn bereits Zweifel, ob er sie nicht genau jetzt verpasste. Teilweise lief er sogar morgens und abends. Und drehte mittags noch eine Runde mit dem Rad.

Wenn ihr nun etwas passiert war? In der Zeitung las man immer wieder von jungen Frauen, die auf ihrer Joggingrunde verschwanden. Bisher hatte er diese Artikel ignoriert, weil er zum einen hoffte, als Mann sicher zu sein und zum anderen „solche Dinge“ nicht zu nah an sich heranlassen wollte. Aber jetzt? Was war nur mit Kaisa? Hatte sie gar ihre Zelte komplett abgebrochen? Alles drehte sich nur um sie.

Dann aber wurde er zum Glück erlöst. Kurz bevor er völlig durchdrehte. Wie das Leben so spielt, fand er Kaisa aber nicht im Wald, wo er quasi ständig nach ihr Ausschau hielt, sondern im Supermarkt.

Schließlich war es Samstagnachmittag geworden und er hatte nichts mehr zu essen in der Wohnung. Normalerweise ging er immer mittwochs direkt nach der Uni einkaufen, weil er den ganzen Nachmittag frei hatte. Vergangenen Mittwoch aber hatte er nur eines im Kopf: auf in den Wald. Oder präziser ausgedrückt: Kaisa!

Zweieinhalb Tage ohne Nachschub hatten sich ganz gut überstehen lassen. Da waren verschollene Konserven aufgetaucht, auch im Tiefkühlfach hatte er noch Essbares entdecken können. Eine alte Packung Salzstangen war noch erstaunlich knackig gewesen.

Samstagmittag hatte er dann aber so überhaupt keinen Appetit auf die alten, harten Gummibärchen, die er hinten im Schrank gefunden hatte. Er hatte ernsthaft einen Lieferdienst in Erwägung gezogen, Fast Food war aber eigentlich so gar nicht sein Ding. Außerdem würde er morgen nicht einkaufen können. Und seine Beine waren müde. Wirklich müde! Eine zweite Runde würde er heute nicht schaffen und seine Hoffnungen, Kaisa wiederzusehen, schwanden. Also fuhr er mit dem Fahrrad und seinem größten Rucksack in den Supermarkt.

Während er schließlich dort sorgfältig seine Äpfel auswählte – sie müssen aus der Region sein, sie dürfen keine Dellen haben und sollten aller Wahrscheinlichkeit nach in Berührung mit möglichst wenigen anderen Händen gekommen sein – schwebte sie herein. Einfach so. Durch die Eingangstür auf dem direkten Weg zum Suppengrün.

Ihm muss wieder der Mund offen gestanden haben. Denn die ältere Dame, die ihm gegenüberstand und die Tomaten studierte, dann aber seinem Blick gefolgt war, meinte lächelnd: „Na los!“. Und obwohl er hauptsächlich seinen Herzschlag in den Ohren hatte, vernahm er ihre Worte.

Und die musste sie ihm nicht zweimal sagen!

Die beiden hatten sich an diesem Sonntagmorgen für neun Uhr an ihrem Fleck verabredet. Den ganzen gestrigen Abend war er gleichermaßen aufgeregt wie erleichtert gewesen: er hatte sie wiedergesehen und würde es gleich morgen wieder tun. Vor Freude laut singend war er auf dem Fahrrad nach Hause gefahren!

Andererseits: natürlich würden sie gemeinsam laufen! Zwar würde er sie also höchstwahrscheinlich für sich allein haben, nach dieser Woche aber möglicherweise nicht mehr in der Lage sein, bei ihr mitzuhalten. Denn zum Abschied hatte sie noch gelächelt und gemeint: „Lass uns morgen etwas schneller laufen als beim letzten Mal!“ – entsprechend hatte er nicht nur zusätzlich Nudeln, sondern auch Eis zum Nachtisch eingekauft, um die Energiespeicher wieder aufzufüllen.

Zum Glück war er nach diesem Imbiss, der die neuen Einkäufe gleich wieder beträchtlich reduzierte, direkt ins Bett gefallen und dadurch heute Morgen frisch und erholt. Nach einem schnellen Frühstück und zwei Gläsern Wasser war er etwas zu früh, gegen zehn vor neun Uhr, am Treffpunkt.

Und sah sie schon kommen. So locker, so leicht. Spielerisch. Schwebend. Völlig unangestrengt begrüßte sie ihn mit einem „Hallo!“ und dem schönsten Lächeln, sodass er sich wieder einmal zusammenreißen musste.

Für ihren Lauf schlug sie ein „spielerisches Fahrtspiel“ vor: in ihren Dauerlauf würden sie fünf Fluchten einbauen: zuerst würde sie vor ihm „flüchten“, mit zehn Sekunden Vorsprung, dann er vor ihr, immer abwechselnd und insgesamt fünf Mal.

Beide waren sie ziemlich motiviert, sodass es trotz allem Spaß, den es machte, doch sehr anstrengend wurde. Beim Auslaufen waren sie dann bester Laune, teils wegen der Endorphine, die durch das schnelle Laufen freigesetzt worden waren, teils, weil sie die gegenseitige Gesellschaft genossen.

Beim fünften Lauf, als er sie zum dritten Mal eingefangen hatte, klatschte er sie nicht nur ab, sondern hielt sie ganz spontan einfach fest. Was ihr zu gefallen schien, trotz aller Verschwitztheit. Und weil sie im Anschluss sogar über seine schlechtesten Witze lachte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen: „Würdest Du heute Abend mit mir Essen gehen?“

Nach ihrem „Gerne!“ schlug sein Herz wieder genauso schnell wie beim letzten Schlussspurt.

Sie waren also zu ihrem ersten Date verabredet. Kaisa war etwas ganz Besonderes, soviel war ihm klar. Sie könnte die Eine für ihn sein, also musste auch ihre erste Verabredung außergewöhnlich sein. Er wollte sie genauso fesseln, wie sie umgekehrt sein Herz im Sturm erobert hatte. Mühelos.

Viel wusste er noch nicht über sie, sicher war er sich aber, dass sie gerne draußen an der frischen Luft war. Ein enges, schummriges Restaurant mit Essen in stickiger Luft, was andere für romantisch halten mögen, schloss er also aus.

Was ein Glück, dass er Miro kannte. Zusammen waren sie viele Jahre zur Schule gegangen, jetzt jobbte sein alter Kumpel nebenbei bei seinem Lieblingsitaliener als Kellner. Bei einem kurzen Anruf bestätigte er ihm, dass er auch an diesem Abend eingeteilt war und versprach, einen Tisch im Garten etwas abseits für die beiden herzurichten.

Seinen Anfängerfehler hatte er nicht wiederholt. Er wusste zum einen, wo er sie abholen sollte, außerdem hatten sie für Eventualitäten Handynummern ausgetauscht. Den ganzen Rückweg hatte er ihre Nummer im Kopf wiederholt, um sie ja nicht zu vergessen, und gleich daheim auf einem Zettel notiert. Die Schätze unserer Zeit.

Als er sie abholen kam – natürlich mit dem Fahrrad – konnte er sein Glück kaum fassen. Sie wartete auf ihn und würde wirklich mit ihm ausgehen. In ihrem Kleid und den offenen, langen, blonden Haaren war sie sogar noch hübscher als in Laufklamotten.

So verbrachten sie den lauen Frühsommerabend erst bei leckerem italienischem Essen, dann überredete er sie noch zu einem Eis zum Mitnehmen. Zum Abschluss des wundervollen Abends schlenderten sie eisschleckend in den Sonnenuntergang.

Er nahm erst all seinen Mut zusammen und dann ihre Hand in seine. Sein Herz überschlug sich zum ersten Mal, als sie ihre Hand nicht zurückzog, sondern wie selbstverständlich in seiner blieb. Fast stehen blieb es dann nicht viel später beim ersten Kuss. Sie waren ein Paar und er der glücklichste Mann der Welt.

Der folgende, wundervolle Sommer war die schönste Zeit seines Lebens. Die beiden sahen sich fast täglich, sei es nur für einen kurzen Lauf am frühen Morgen, sei es von früh bis spät bei langen Ausflügen oder auch einfach nur beim Nichtstun.

Es war ein Sommer voller Glück. Sie waren zusammen laufen, picknicken, schaukeln, Eis essen, fahrradfahren, Enten füttern, Sternschnuppen schauen, Karten spielen. Er lernte jonglieren, Vogelstimmen auseinanderzuhalten und Einradfahren, sie Basketballspielen, eine richtige Arschbombe und das Balancieren auf einer Slackline. Von so manchem – Ausflüge zum Badesee, Tischtennis im Freien, Besuch von Flohmärkten oder Ausstellungen – war er vorher nie ein Fan, mit Kaisa aber konnte er sich nichts Besseres vorstellen.

Erstaunlicherweise wurde er gleichzeitig auch in der Uni besser. Man hätte denken können, er sei abgelenkt und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Von ihr geliebt zu werden gab ihm aber ein solches Selbstvertrauen, dass er sich auch an Problemstellungen heranwagte, die er zuvor abwinkend als zu schwer abgetan hätte. Sie tat ihm einfach unglaublich gut.

Auch sprachen sie über die Zukunft. Als hätten sie sich abgesprochen, war beiden immer klar, dass sie einmal ein kitschiges Vorstadtleben würden führen...

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