Zu hart am Wind - Warum die Credit Suisse untergehen musste

Zu hart am Wind - Warum die Credit Suisse untergehen musste

von: Dirk Schütz

Beobachter-Edition, 2023

ISBN: 9783038755104

Sprache: Deutsch

170 Seiten, Download: 2830 KB

 
Format:  EPUB

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Zu hart am Wind - Warum die Credit Suisse untergehen musste



2. Zwei Gambler


Der gefährlichste Club der Welt wurde nach dem Fast-Kollaps des Finanzsystems von 2008 gegründet. Natürlich hatte auch er einen sperrigen Namen, das gehörte in der Finanzwelt dazu: «G-SIFIs» nannte er sich zunächst – «Global Systemically Important Financial Institutions». Doch nach erfolgreichem Lobbying verabschiedeten sich die Versicherungskonzerne aus dem Club, und so lief er seit 2019 unter dem Namen «G-SIBs»: «Global Systemically Important Banks».

Die Mitglieder bestimmten ein diskretes Gremium in der Schweiz, genauer in Basel: das «Financial Stability Board», in das die zwanzig grössten Volkswirtschaften der Welt ihre Vertreter schickten und das in einem hoch gesicherten Turm in Basel angesiedelt war. Hier hatte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), eine Art Zentralbank der Zentralbanken, ihren Sitz. Alle zwei Monate trafen sich die Notenbankchefs der Welt hinter verriegelten Türen.

Eigentlich wollte niemand dabei sein in dem Club, denn die Mitglieder sahen sich besonders scharfen Regulierungen ausgesetzt: Sie wurden als so gefährlich eingeschätzt, dass sie das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen konnten – das Aus der Wall-Street-Firma Lehman Brothers im Jahr 2008 hatte das Schreckenspotenzial eindrucksvoll dokumentiert. Keine andere Branche hatte diese Macht, die gesamte Weltwirtschaft in den Abgrund zu reissen – deswegen wurde sie auch vor der Finanzkrise schon stark reguliert, was die Katastrophe jedoch nicht verhindert hatte. Also wurde nochmals verschärft. Seit 2013 kam jeden November aus Basel die aktuelle Liste mit den Hochrisiko-Namen. Aber nicht dabei zu sein, hiess eben auch: nicht in der Weltliga zu spielen.

Acht Amerikaner zählten Ende 2022 dazu, vier Chinesen, drei Japaner und zwei Kanadier. Die Europäer stellten immerhin 13 Mitglieder, davon sieben aus der Eurozone. Die Unterschiede zwischen den Clubmitgliedern waren gross. Jede Bank pflegte ihre eigene Kultur und Tradition. J.P. Morgan etwa war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter ihrem Namensgeber John Pierpont Morgan zur Drehscheibe der amerikanischen Wirtschaft aufgestiegen: Der wenig empathische Grossfinancier lenkte von seiner Yacht vor den Toren New Yorks aus die amerikanische Wirtschaft. Diese Rolle war mehr als hundert Jahre später an J.P.-Morgan-Langzeit-Dominator Jamie Dimon übergegangen, der über der amerikanischen Bankenszene thronte – und damit natürlich, aus seiner bescheidenen Sicht, über der gesamten Bankenwelt.

Die britische HSBC: als Hongkong Shanghai Banking Corporation die Bank des einstigen Empire – noch immer weltumspannend, aber auch etwas verzettelt und behäbig. Ab 18 Uhr, so die Fama aus grossen Zeiten, gönnten sich die Chefs die ersten Drinks, und Personalgespräche begannen angeblich zuweilen noch immer mit dem Satz: «Get off the booze.» Die Wall-Street-Ikone Goldman Sachs: «greedy, but longterm greedy», noch immer Vorbild für all die Häuser, die das schnelle Geld suchten, dabei aber leider zu oft scheiterten. Die Deutsche Bank: arrogant zu Hause, dilettantisch im Ausland.

Auch zwei Schweizer waren dabei, für das kleine Land mit gerade acht Millionen Einwohnern eine besondere Ehre: Die UBS, von der Finanzkrise besonders gebeutelt und mit Verlusten von mehr als 50 Milliarden Franken dem Tod nur knapp entronnen, aber trotzdem noch immer die Nummer eins des Alpenlandes. Und die Credit Suisse, ewige Nummer zwei, aber relativ gesehen einer der Gewinner der Finanzkrise: Von den verhängnisvollen Immobilienpapieren, die so viele Banken in den Abgrund rissen, hatte sie früh die Finger gelassen.

Und wie das Alpenland auf seine Sonderrolle als selbstbewusstes Nicht-EU-Mitglied im Herzen Europas stolz war, so waren es auch die beiden Schweizer Banken auf ihren Sonderstatus. Weil ihr Heimmarkt klein war, hatten sie früh ins Ausland expandiert und globale Einheiten in zwei Schlüsselgeschäften aufgebaut: dem Investmentbanking und der Vermögensverwaltung. Doch die Gewichtung war unterschiedlich: Die behäbigere UBS setzte mehr auf die langweiligere Geldverwaltung. Bei der wilderen Credit Suisse gaben die risikofreudigen Investmentbanker den Ton an.

Das Schöne daran: Weil sich ihre Chefs mit den hoch bezahlten Lenkern der Wall-Street-Firmen verglichen, zahlten ihnen die beiden Schweizer Grossbanken auch deren zweistellige Millionensaläre aus. So viel gab es nirgends sonst in Europa. Die europäischen Konkurrenten schauten neidvoll nach Zürich. Es war das europäische Abbild der amerikanischen Finanz-Hackordnung: Ganz oben die Investmentbanker, dann die Vermögensverwalter, am Schluss die Retailbanker. Und Versicherungsmanager? Zwar auch passabel bezahlt. Aber dennoch grau. Zweite Liga.

Als die erste Liste des Basler Clubs 2013 erschien, galt die Credit Suisse noch als gesündere der beiden Schweizer Grossbanken. Doch das hatte sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Im November 2022, als die Credit Suisse zum letzten Mal auf der Liste geführt wurde, war sie im Ansehen auf den letzten Platz abgerutscht. Die gefährlichste Bank im gefährlichsten Club der Welt stammte ausgerechnet aus der soliden Schweiz.

Der Grund? Auch sie hatte eine sehr spezielle Kultur.

Ihr Gründer war die wohl legendärste Figur der Schweizer Wirtschaft. Alfred Escher, geboren im fernen Jahr 1819, hatte 1856 die Bank als stolze Schweizerische Kreditanstalt gegründet und war in seinen Pionierjahren zum ersten Financier der modernen Schweiz aufgestiegen. Er gründete auch den weltumspannenden Rückversicherer Swiss Re, die Lebensversicherungsgesellschaft Swiss Life – und als besonders wichtiges Vermächtnis: die Eidgenössische Technische Hochschule. Sie sollte es zu Weltruhm bringen und die Limmatstadt für Technologieriesen wie Google zum begehrten Standort machen.

Eschers Passion galt dem Eisenbahnbau, und dafür nutzte er sehr intensiv die neue Bank, zur Hälfte finanziert vom liberalen Zürcher Bürgertum, zur anderen Hälfte aus Deutschland. Er investierte über die Bank in grossem Stil in eigene Bahnprojekte, was ihm heutzutage einen besonders scharfen Blick der Behörden einbringen würde – mindestens. Erst bekam seine eigene Nordostbahn Geld von der Bank, dann stürzte sich Escher in sein grösstes Abenteuer: die Finanzierung seiner Gotthardbahn. Es waren chaotische Zeiten, das Bahngeschäft verursachte hohe Kosten bei spärlichen Erträgen, und so kam es, wie es kommen musste: Beide Bahnen mussten verstaatlicht werden.

Escher war ein Draufgänger, ein Abenteurer, heute würde man wohl sagen: ein Gambler. Denn das normale Bankgeschäft, bei dem korrekte Bankbeamte das Geld zu tiefen Zinsen einsammelten und für hohe Zinsen weitertrugen, war nicht seine Sache, und auch die Vermögensvermehrung für die Wohlhabenden, eine Dienstleistung, die die Schweizer Banken später um die Welt tragen sollten, war ihm zu öde. Er wollte bauen, erschaffen, die Schweiz verändern – und ging dafür hohe Risiken ein.

Wilde Kredite wurden ohne wirkliche Prüfung vergeben, oft ging das Geld verloren. Seine Statue vor dem Zürcher Hauptbahnhof überragt noch heute überlebensgross die Bahnhofstrasse. Doch der später so verehrte Escher starb 1882 als umstrittene Persönlichkeit – zum ersten Gotthard-Durchstich 1880 war er nicht eingeladen worden. In ihrer Selbstdarstellung bezeichnete sich die Bank schon zu seiner Zeit als Unternehmerbank. Aber der Grat zur Zockerbank war schon damals sehr schmal.

Die Linie vom Gründervater direkt zum Ende der einst so stolzen Bank legen zu wollen, wäre etwas zu einfach. Aber Fakt ist: Diese Grundidentität, schneller, einfallsreicher, besser sein zu müssen, durchzog die Bank seit ihren Anfängen und setzte sich in den 167 Jahren ihres Bestehens fort – bis zum bitteren Ende.

Das traditionelle Geschäft überliess man auch später lieber den anderen, so die Selbsteinschätzung, allen voran der UBS, deren Vorgängerbank SBG sich in den 1960er Jahren unter den damals noch fünf Grossbanken an die Spitze gesetzt hatte und unter dem Schutz des Bankgeheimnisses die Reichen rund um die Welt anzog – inklusive vieler schattiger Charaktere. 1964 erfand der Labour-Politiker George Brown den Terminus der «Gnomes of Zurich». Das Zerrbild des diskreten, aber skrupellosen Schweizer Bankers ging um die Welt und lieferte den James-Bond-Produzenten und vielen anderen Filmemachern beste Schurken-Vorbilder.

Und weil der SKA die schnöde Vermögensverwaltung zu reizarm war und der Vorsprung der UBS zu gross, brauchte es frische Geldströme aus anderen Gebieten. Für den grossen Einstieg in die Heimmärkte der europäischen Nachbarn fehlte es schlicht an Kapital. Und die Vermögensverwaltung von institutionellen Grosskunden, etwa Pensionskassen, steckte damals noch in den Kinderschuhen. Zwar gab es in den USA grosse Geldsammelhäuser wie Fidelity, Templeton oder Vanguard. Aber ihr Geschäft galt als ebenso wenig aufregend wie die heimische Vermögensverwaltung.

Und so entwickelte die Bank schon früh ein spezielles Sehnsuchtsziel: Sie hatte bereits 1939 in New York die Swiss American Corporation gegründet, um Firmen bei der Kapitalbeschaffung durch Aktienemissionen zu unterstützen. 1964 bekam sie als erste Schweizer Grossbank eine vollumfängliche Banklizenz in der Finanzmetropole.

Was lag also näher, als sich so stark wie keine andere Bank Europas mit der Grossmacht der Zockerwelt einzulassen – den Helden der Wall Street? Es war ein junger Banker namens Rainer Emil Gut, geboren 1932, Sohn eines Direktors der Zuger Kantonalbank, der nach einer Banklehre ohne Studium abenteuerlustig nach New York ging und dort bereits mit gerade 31 Jahren die Leitung der kleinen Repräsentanz der SBG übernahm.

Von dort wechselte er zum gediegenen Wall-Street-Haus Lazard Frères –...

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