Hildegard von Bingen. Ein Leben im Licht - Biographie

Hildegard von Bingen. Ein Leben im Licht - Biographie

von: Heike Koschyk

Aufbau Verlag, 2012

ISBN: 9783841204653

Sprache: Deutsch

229 Seiten, Download: 1276 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Hildegard von Bingen. Ein Leben im Licht - Biographie



1. Kapitel
Hildegards Kindheit und Lehrjahre


Hildegard wird im Jahre 1098 geboren – in eine Zeit des Umbruchs, in der das Christentum gespalten ist und ein erbitterter Streit zwischen kirchlicher und weltlicher Macht um die Oberhoheit im Reich herrscht.

Sie ist das zehnte Kind der Adeligen Hildebert und Mechthild von Bermersheim. Der Gutshof der von Bermersheim liegt zwischen Weinbergen und ertragreich bewirtschafteten Feldern in der Nähe von Alzey im rheinfränkischen Land zwischen Rhein, Mosel und Maas.

Das Leben der Adeligen dieser Zeit ist angenehm. Auf dem elterlichen Herrenhof gibt es eine Amme, Mägde und Knechte, Stallburschen und Köche. Die Bauern, die das Land der von Bermersheim bewirtschaften, liefern von ihren Erträgen Abgaben an den Gutsherren. Getreide, Obst und Gemüse, Wolle, Flachs und Hanf, Wein und Bier, Honig, Fleisch und Fisch. Der Großfamilie geht es gut, sie ist mit äußeren Gütern reich gesegnet.

Hildegard wächst mit Kühen und Pferden auf und lernt wie ihre Geschwister reiten. Sie erlebt den Wechsel der Jahreszeiten, den beständigen Rhythmus der Natur, den festen Halt von Feiertagen und Ritualen, zu denen der sonntägliche Kirchgang gehört.

Außerhalb der »familia«, der Hausgemeinschaft, die auch die Bediensteten des Hofes mit einschließt, ist das Leben härter. Der warme Kamin im Winter, das regelmäßige Bad, ein fester Platz für den Abort ist ein nur wenigen zugänglicher Luxus. Mangelnde Hygiene und ständige Hungersnot sind Nährboden vieler Seuchen, die sich dort ausbreiten, wo Menschen zusammenleben. Typhus, Pocken, Cholera, Tuberkulose, Ruhr und andere Erkrankungen enden meist tödlich. Wer sie übersteht, stirbt vielleicht durch wilde Tiere, die in Wäldern, Buschland und Mooren lauern, durch Fehden oder infolge des Unwesens zahlloser Räuber.

Unheilbare Krankheiten sind an der Tagesordnung: Lähmungen, Blindheit, Epilepsie und vielerlei andere schwere Gebrechen. Besonders schlimm trifft es die Leprakranken, deren Körper unansehnlich verstümmelt sind. Es sind Aussätzige, denn diese Erkrankung ist ansteckend, man stirbt ganz langsam, nach qualvollen Jahren.

Die Menschen fühlen sich als Spielball des Schicksals, ausgeliefert einem strafenden Gott oder gar dem Teufel. Machtlos gegen Hunger, Kälte und Krankheit oder die unberechenbaren Stimmungen anderer Menschen. Der Kampf um die Existenz, manchmal auch nur um ein Stück Brot, beherrscht das Leben in den immer größer werdenden städtischen Siedlungen, wo die neue Freiheit abseits der Leibeigenschaft so manchen das Leben kostet.

Auch auf Gut Bermersheim bleibt die Schattenseite des Lebens nicht verborgen, aber sie dringt nicht bis zu den Bewohnern vor. Und so bleibt Hildegard der alltägliche Kampf ums nackte Überleben im behüteten Umfeld der gut versorgten Großfamilie fern.

Hildegards Kindheit hätte ein Paradies sein können. Aber sie ist anders. Von Geburt an ist sie schwach und kränkelnd, muss fast ständig mit Schmerzen leben. Während ihre Geschwister sich innerhalb des elterlichen Besitzes frei bewegen können, bekommt sie viele Dinge aufgrund der Krankheiten nicht mit. Und trotz der verlässlichen Rhythmen ihrer Umgebung lebt sie mit einer ständig zitternden Unruhe, vermisst das Gefühl der Sicherheit.

Hildegard ist ein sensibles, schüchternes Kind, mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Im Alter von drei Jahren sieht sie ein großes Licht, das ihre Seele tief bewegt. Kaum kann sie sprechen, erzählt sie mit Worten und Gesten die Bilder ihrer Visionen und versetzt damit die Umwelt in Erstaunen.

Anfangs noch empfindet sie die göttlichen Botschaften mit einem natürlichen Selbstverständnis, so sagt sie ganz unbedarft die Flecken eines noch ungeborenen Kalbes voraus. Bis sie bemerkt, dass ihr eine Gabe verliehen worden ist, die andere nicht haben. Als sie ihre Amme fragt, ob sie denn – abgesehen von äußeren Dingen – etwas sehe, verneint diese. Hildegard erschrickt, bekommt Angst vor ihrer Gabe. Die Visionen verwirren sie, grenzen sie von den anderen ab. Warum ausgerechnet sie? Warum sieht nur sie seltsame Dinge und hört die Stimme des göttlichen Lichts? Hildegard beschließt, ihre Visionen für sich zu behalten.

Zu dieser Zeit ist Deutschland zerstritten in der Machtfrage der irdischen und himmlischen Vorrechte.

Weltliche und kirchliche Belange sind eng miteinander verwoben, jede Seite beansprucht die Ausübung der Macht. Weder Papst Gregor VII. noch König Heinrich IV. wollen dem anderen Vorrechte einräumen.

Als der Papst für sich in Anspruch nimmt, Bischöfe, Könige und Kaiser bestimmen und absetzen zu dürfen, erklärt der König im Gegenzug den Papst für abgesetzt.

Es wird ein Gegenkönig gewählt, ebenso wie ein Gegenpapst, der den soeben abgewählten König in Rom zum Kaiser krönt. Die Zeiten sind unruhig. Selbst Adelige müssen vorsichtig sein, wem sie ihre Gunst öffentlich zugestehen. Jede Seite sieht sich im Recht, und um das göttliche Recht zu verteidigen, wird gemordet. Aber auf welcher Seite steht Gott?

Erst als sich der Sohn des Königs 1105 mit der Mehrheit der Fürsten gegen den Vater stellt, ihn nach erbittertem Krieg zur Abdankung zwingt und selbst den Thron besteigt, scheint der dreißig Jahre währende Kampf zwischen Kirche und weltlichem Herrscher beendet. Vorerst.

Hildegard, die mit wachem Geist und kindlicher Neugier am Leben auf dem Gutshof teilnimmt, kann sich den Gesprächen in ihrem Elternhaus, die sich um den Konflikt zwischen Kirche und Herrscher drehen, nicht entziehen. Noch versteht sie die Hintergründe der Diskussionen nicht. Später aber, als die Welt erneut in einen Streit um die Vorrechte versinkt, wird sie sich an die Unruhe erinnern, die immer wieder in das idyllische Leben der Bermersheimer eingebrochen ist.

Gegenüber der Burg Böckelheim, in der der abgesetzte König zeitweilig gefangen gehalten wird, liegt am nördlichen Nahe-Ufer Burg Sponheim, nur einen Tagesritt von Bermersheim entfernt. Dort lebt die hochadelige Familie von Sponheim, mit der Hildegards Familie freundschaftlich verbunden ist.

Graf von Sponheim war 1095 gestorben, Gräfin Sophia zieht zwei Söhne und eine Tochter alleine auf. Das Mädchen, Jutta, ist sechs Jahre älter als Hildegard und im Gegensatz zu dieser selbstbewusst und wortgewandt; traut sich, ihre Meinung vehement zu vertreten. Sie wächst in einer liebevollen Umgebung auf und wird von ihrer Mutter in die Heilige Schrift eingewiesen. Das Mädchen ist wissbegierig und saugt das Gelernte in sich auf, so dass sie bald vieles auswendig aufsagen kann.

Als Jutta zwölf Jahre alt ist, erkrankt sie so schwer, dass ihre Angehörigen das Schlimmste befürchten. Jutta ist jedoch noch nicht bereit zu sterben, sie kämpft um ihr Leben und betet zu Gott. Wenn sie wieder gesund wird, gelobt sie, dann wird sie als Gegenleistung ihr Leben dem Herrn weihen.

Die Genesung erscheint wie ein Wunder. Als Jutta aber ihr Gelöbnis erfüllen will, ist die Familie dagegen. Ihre Zukunft ist anders geplant: Jutta stammt aus einer hochangesehenen Familie und ist für ihre Klugheit und Schönheit bekannt. Es gibt vielversprechende Heiratskandidaten, einige haben Jutta bereits einen Antrag gemacht.

Jutta weigert sich jedoch. Nein, sie will nicht heiraten, sie möchte sich zu einem religiösen, enthaltsamen Leben verpflichten, so wie sie es in ihrer Krankheit gelobt hat.

Jutta setzt sich durch, wie schon so oft. Gegen den Willen der Familie reist sie als Dreizehnjährige nach Mainz und lässt sich von Erzbischof Ruthard zur Jungfrau weihen.

Die Verwandtschaft, von Jutta vor vollendete Tatsachen gestellt, muss diesen Schritt akzeptieren. Eine Weihe kann man nicht rückgängig machen. Das Mädchen hat ihr Leben unwiderruflich Gott dargebracht.

Jutta ist zielstrebig. Sie entscheidet sich für eine religiöse Ausbildung außerhalb einengender Klostermauern und wird schließlich von der frommen Witwe Uda von Göllheim, einer nahen Verwandten, auf Burg Sponheim unterrichtet. Das Mädchen verbringt die Tage und Nächte mit Fasten, Nachtwachen und Beten, ist ständig für Gott, den Herrn, da.

Der Wunsch nach einer Wallfahrt entsteht. Jutta möchte die Orte sehen, die Christus, der Heiland, zu Lebzeiten geprägt hat. Vor gut einem halben Jahrhundert hatte Bischof Gunther von Bamberg eine Jerusalem-Wallfahrt mit fast 12 000 Pilgern unternommen, noch immer wird darüber gesprochen.

Auch der Pilgerweg zur Heiligen Stadt Rom ist reizvoll, mit seiner unerschöpflichen Strahlkraft. In Rom, so heißt es, kann man sein Seelenheil finden oder es sich zumindest für das Lebensende sichern. Andere Pilger suchen ihr Heil im Weg nach Santiago de Compostela, am Ende der Welt, der Finis Terra, das durch das Apostelgrab des Jakobus, einem der engsten Jünger Jesu und Patron aller Pilger, geheiligt ist. Was kann aufregender sein, als sich ihnen anzuschließen!

Die Familie ist entsetzt. Das Pilgern ist gefährlich. Vor vierzig Jahren starb Graf Siegfried von Sponheim auf der Rückreise vom Heiligen Land, seine Frau nur wenige Jahre später auf einer Wallfahrt nach Santiago.

Aber Uda von Göllheim hat Jutta gut im Auge, kommt jedem ihrer Versuche, auszureißen, zuvor.

Hildegard ist fasziniert von Jutta, die so anders ist als sie selbst. Sie möchte es ihr gleichtun, ebenso mutig und selbstsicher werden und drängt die Eltern zu einer religiösen Lerngemeinschaft mit ihr.

Die Eltern stimmen zu, wenn auch schweren Herzens. Hatten sie doch schon früh daran gedacht, Hildegard als zehntes Kind Gott zu weihen, so war eine...

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