Wut ist auch keine Lösung - Ärger und negative Gefühle in den Griff bekommen

Wut ist auch keine Lösung - Ärger und negative Gefühle in den Griff bekommen

von: Dr. Christoph Augner

Humboldt, 2022

ISBN: 9783842631175

Sprache: Deutsch

186 Seiten, Download: 1995 KB

 
Format:  EPUB

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Wut ist auch keine Lösung - Ärger und negative Gefühle in den Griff bekommen



SO WERDEN SIE ZUM WUT-ENTSCHÄRFER: CRASHKURS


In diesem Kapitel entwickeln wir Strategien, wie Wut erst gar nicht entsteht, und wenn doch, wie wir besser damit umgehen. Leider reicht es oft nicht, seine eigenen negativen Emotionen im Griff zu haben. Daher werden wir uns auch daran machen, die Wut unserer Mitmenschen zu entschärfen.

Jeder denkt daran, die Welt zu verändern, aber niemand denkt daran, sich selbst zu verändern.

Leo Tolstoi

Der „Feuerdrache in uns“: So managen Sie Ihren Ärger


Die Grundlagen


„Jetzt reicht es, ich bin lange genug ruhig geblieben“, sagen Sie sich und geigen ihrem Gegenüber die Meinung. Tatsächlich vertreten wir im Alltag meist die Meinung, es gebe nur zwei Möglichkeiten, wie man sich in einer Situation, die Wut auslöst, verhalten kann, passiv oder aggressiv. Schauen wir uns beides einmal an:

Man bleibt passiv, also „ruhig“, und verzichtet auf (möglicherweise berechtigte) Ansprüche. Das kann in manchen Fällen sinnvoll sein, wenn es sich nicht lohnt, wegen einer Kleinigkeit überhaupt ein Gespräch zu beginnen.

Vielleicht kennen Sie den wunderschönen Königspalast in der spanischen Hauptstadt Madrid. Gerade zur Hauptsaison gehört das Bild der langen Warteschlange vor dem Eintritt zum gewohnten Straßenbild. Die Wartezeit kann in die Stunden gehen. Ich suche das Ende der Schlange und bin gerade mal einen Deut schneller als ein weiterer Tourist, der dadurch hinter mir zum Stehen kommt. Ich höre ihn schon fluchen und schimpfen, dann tippt er mir auf die Schulter. Wild gestikulierend vermittelt er mir, dass ich mich aus seiner Sicht vorgedrängt habe. Ich bin davor zu kontern, doch dann besinne ich mich. Vor mir stehen ca. 70 Leute – es wäre völlig gleichgültig, ob es 71 sind. Außerdem habe ich schon einen Verdacht. So lasse ihn ohne großen Wortwechsel vor. Damit hat er nicht gerechnet – er bedankt sich sogar. Es dauert noch zehn Minuten, dann stehe ich wieder an meinem Platz: Die Wartezeit war dem Mann zu lang, er verließ die Schlange. Ein Streit hätte sich hier nicht ausgezahlt und mich nur daran gehindert, diesen wunderbaren Tag in Madrid zu genießen.

Die zweite Möglichkeit: Man wird aggressiv, das heißt, man vertritt offensiv seine Anliegen und Bedürfnisse. Das Ziel ist es, sich gegen anderen durchzusetzen, „ich gegen den“, eine klassische Win-Lose-Situation. Es gibt sicherlich Situationen, wo Aggressivität sinnvoll ist, z. B., wenn man gerade Eishockey spielt oder als Polizist einer Spezialeinheit einen potenziellen Terroristen festnehmen soll. In den allermeisten Fällen in unserem normalen Alltag aber richtet Aggressivität mehr Schaden an, als sie nützt.

Die meisten Menschen wissen das natürlich, dennoch fällt es häufig schwer, auf aggressive Verhaltensweisen zu verzichten. Warum? Aggressiv sein ist sehr leicht. Man muss endlich einmal auf niemanden Rücksicht nehmen. Man kann sich quasi austoben. Wir alle treffen immer wieder auf Menschen, bei denen Aggressivität zur Kommunikationskultur gehört.

Erinnern Sie sich an den schwierigen Kollegen, bei dem selbst ein harmloser Tratsch über das Wetter zu einem Konflikt führt. Wie geht man mit solchen Leuten um? Leider gibt es hier keinen Königsweg, der einfach hilft. Tatsächlich ist es am besten, sie zu meiden, so gut es geht – was die meisten Menschen ja dann auch machen. Das sagt uns aber auch schon einiges über die Wirkung von Aggressivität. Aggressive Menschen setzen sich zwar vermeintlich eher durch, aber sie werden eben auch eher gemieden, ihnen wird eher nicht die Wahrheit gesagt. Mit vertrauensvollen Beziehungen tun sie sich schwer, denn Menschen fühlen sich aggressiven Personen weniger verpflichtet.

Es gibt neben Passivität und Aggressivität aber auch noch einen dritten und vielfach besseren Weg, mit Konflikten und wütenden Menschen umzugehen, nämlich die Selbstbehauptung.34 Hier geht es darum, die eigenen Bedürfnisse, Ansprüche und Rechte klar zu artikulieren, ohne dabei das Gegenüber abwerten oder beleidigen zu müssen. Das heißt, die eigenen Gefühle und Perspektiven sind genauso wichtig wie die des anderen.

Ein Beispiel: Ein Freund kommt zu Ihren Treffen immer zu spät. Sie müssen jedes Mal warten. Das ärgert sie, weil sie mit der Zeit etwas Sinnvolleres machen könnten. Außerdem signalisiert Ihnen das Zuspätkommen, dass Sie für den anderen nicht wichtig genug sind. Die passive Lösung ist, Sie fressen den Ärger in sich hinein, bleiben zwar ruhig, aber ärgern sich jedes Mal. Aggressiv wäre, den Freund zur Rede zu stellen, ihm Vorwürfe zu machen, zu schreien, beleidigt die Situation zu verlassen oder Ähnliches.

Selbstbehauptung kennt zwei Varianten fokussiert auf die eigenen Bedürfnisse, ohne die des anderen zu verletzen. Variante 1: Sie erklären Ihrem Freund, warum es so unangenehm ist, wenn Sie immer auf ihn warten müssen, und bitten ihn schon im Vorhinein, beim nächsten Mal pünktlich zu sein. Variante 2: Sie rechnen ohnehin mit seinem Zuspätkommen und kommen dann einfach selbst ein paar Minuten zu spät.

Wer die eigenen Bedürfnisse gut artikuliert, macht sich manchmal angreifbar, Wut und Ärger haben aber dadurch gar nicht die Möglichkeit, sich dauerhaft festzusetzen. Wie in der Medizin ist auch bei der Wut Prävention die beste Lösung.

Vorbeugen ist besser als heilen


Als Sabine am Abend nach dem Kindergeburtstag ihren Wutanfall bekommt, hat sich so viel aufgestaut, dass sie einfach nicht mehr anders kann. Doch der reinigende Sturm bleibt aus. Ihr Mann fühlt sich überfahren, ungerecht behandelt und reagiert seinerseits mit stiller Wut. Ohne es zu wollen, vertiefen die beiden die Gräben zwischen einander, anstatt sie zuzuschaufeln und Nähe herzustellen. Es dauert Tage, bis vielleicht wieder ein halbwegs normaler Gesprächston einzieht, der geheime Groll bleibt noch lange bestehen.

Einfach auf den Tisch zu hauen kann zwar kurzfristig erleichternd sein, nachhaltig ist das nicht. Es schädigt das Vertrauensverhältnis zum anderen, schafft Distanz statt Nähe. Wie kann Sabine also die Wut zähmen, ohne die Bedürfnisse, die dahinterstehen, einfach zu ignorieren oder zu unterdrücken?

Wie sich die eigene Wut in einem Konflikt entwickelt, ist natürlich auch stark von unserem Gegenüber abhängig. Wenn jemand durch sein Verhalten unsere wunden Punkte berührt, fällt es schwer, der aufkommenden Wut zu widerstehen.

Zunächst soll es aber nicht um das Verhalten der anderen gehen, sondern darum, was Sabine und wir selbst tun können, um die eigene Wut zu zähmen. Eines der wichtigsten Elemente dabei ist es, sich selbst darüber bewusst zu sein, wann die Wut bei uns hochkocht. Welche Situationen, Personen, Erfahrungen, Gesprächskonstellationen sind ausschlaggebend dafür, dass wir wütend werden? Wenn uns das bewusst ist, können wir präventiv reagieren, indem wir solche Situationen vermeiden, umgestalten oder auch einfach beginnen, sie anders zu interpretieren.

Denken wir an nochmals an die verfahrene Situation von Sabine und ihrem Mann. Was könnten sie präventiv tun, um Wutausbrüche und schwelende Dauerkonflikte zu vermeiden?

Zunächst einmal bei sich selbst ansetzen! Sie hören Sabine schon sagen: „Bei mir ansetzen? Das Problem ist doch eindeutig mein Mann. Er benimmt sich unaufmerksam und unsensibel. Er könnte, er sollte lieber“ Ja, stimmt, er könnte sensibler sein und von selbst Hilfe und Unterstützung anbieten. Leider tut er es aber nicht, daher sollte Sabine das selbst in die Hand nehmen.

Für diese Prävention sind drei Komponenten wichtig:

Die emotionale Komponente

Selbstanalyse: Wie fühle ich mich? Hinter der Wut stehen häufig Überforderung, Stress, Ohnmacht oder auch Angst.

Authentische Kommunikation dieser Komponente, also nicht „Ich bin wütend und mache dir Vorwürfe“, sondern „Ich bin wütend, weil ich überfordert bin und Folgendes brauche …“

Die sachliche Komponente

Selbstanalyse: Ist meine Wut die Folge der Überforderung? Womit bin ich überfordert? Fühle ich mich bei wichtigen Entscheidungen allein? Habe ich mehr zu erledigen, als ich schaffen kann?

Authentische Kommunikation dieser Komponente, also „Ich habe zu viele Aufgaben und/oder zu wenig Erholungsphasen bzw. ich brauche manchmal die Meinung eines anderen, bevor ich eine Entscheidung treffe.“

Die praktische Komponente

Selbstanalyse: Was benötige ich konkret (von anderen)? Eine konkrete Handlung, einen Rat oder auch Trost?

Authentische Kommunikation dieser Komponente, also z. B. um konkrete Unterstützung in einer schwierigen Situation bitten.

Nicht immer kann der andere, der unseren Ärger abbekommt, etwas tun. Manchmal geht es auch einfach um das eigene...

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