Die Cum-Ex-Files - Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen - und wie ich ihnen auf die Spur kam

Die Cum-Ex-Files - Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen - und wie ich ihnen auf die Spur kam

von: Oliver Schröm

Ch. Links Verlag, 2021

ISBN: 9783862845002

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 736 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Cum-Ex-Files - Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen - und wie ich ihnen auf die Spur kam



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Zürich, 16. September 2013


Seit 15 Minuten ist der Mann überfällig. Am Ende der Züricher Bahnhofshalle warte ich darauf, dass der anonymen Anrufer erscheint oder sich zumindest meldet. Ich stehe etwas verloren beim Meeting Point, einem blauen Würfel mit einem dicken weißen Punkt und darauf zulaufenden Pfeilen, der unter einer überdimensionalen Bahnhofsuhr hängt. Vielleicht ein Dutzend Personen warten dort ebenfalls auf ihre Verabredung.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein mutmaßlicher Whistleblower mit einem Steuerthema bei mir gemeldet hat. Vor drei Jahren nahm erstmals ein ehemaliger Bankmitarbeiter über einen Mittelsmann zu mir Kontakt auf. Er hatte bei der LTG Treuhand in Liechtenstein im IT-Bereich gearbeitet und ein Tages-Backup mit sämtlichen Kundendaten gestohlen. Ein stern-Interview mit ihm erschien im Sommer 2010 unter der Überschrift »Der Albtraum der Millionäre«. Das Fürstentum Liechtenstein suchte ihn bereits wegen des Datendiebstahls per Haftbefehl, und im Internet waren sieben Millionen Euro auf seinen Kopf ausgesetzt. Der Name des Datendiebs: Heinrich Kieber.

Das Backup enthielt vertrauliche Informationen über fast 6000 Bankkunden weltweit, darunter 46 politische exponierte Personen, sogenannte PEP. Sie hatten bei der LTG Treuhand Vermögen von rund sieben Milliarden Schweizer Franken gebunkert, davon entfielen allein drei Milliarden auf deutsche Kunden. Kieber lieferte die Kontodaten von 1400 »Stiftungen« deutscher Millionäre und von Steuerbetrügern dem Bundesnachrichtendienst. Deutsche Steuerbehörden eröffneten daraufhin 618 Verfahren, mehr als 200 weitere Bundesbürger zeigten sich selbst an. Die Aktion brachte mehr als 220 Millionen Euro ein. Der prominenteste Fall in Deutschland war Klaus Zumwinkel. Der damalige Post-Chef wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt. Außerdem musste er 3,9 Millionen Euro Steuern nachzahlen. Die Fernsehaufnahmen, wie ihn die Staatsanwältin zum Verhör abführen ließ, wurden zum Symbolbild der Steueraffäre.

Und nun also Carsten Maschmeyer? Zumindest hatte mir der anonyme Anrufer vertrauliche Bankunterlagen zu dubiosen Aktiengeschäften des deutschen Finanzjongleurs in Aussicht gestellt. Ob die Dokumente einen Gesetzesverstoß offenlegen, bleibt abzuwarten. Zunächst ist es nichts Verwerfliches, wenn ein deutscher Staatsbürger ein Konto in der Schweiz, in Liechtenstein oder in Panama unterhält. So lange er das Geld in Deutschland versteuert, ist alles in Ordnung. Aber die Erfahrung mit den Daten von Kieber zeigt: Meist nutzen reiche Leute sogenannte Offshore-Konten, also Konten in Staaten mit niedrigen Steuern und wenig Kontrollen, um dort Geld vor dem Finanzamt zu verstecken oder um darüber schmutzige Geschäfte abzuwickeln.

Die Tage vor dem Abflug nach Zürich habe ich genutzt, um mich in das Thema einzulesen. Schließlich hatte ich bis zu dem Anruf des Bankmitarbeiters noch nie etwas von Cum-Ex gehört. Nach einer Archivrecherche habe ich immerhin so viel verstanden:

Bei Cum-Ex geht es nicht um klassische Steuerhinterziehung, denn hierbei versteckt nicht jemand sein Geld in der Schweiz, in Panama oder einem Offshore-Inselstaat, um keine Steuern zahlen zu müssen, sondern hier greift jemand in die Staatskasse und nimmt sich dort Geld heraus, auf das er gar keinen Anspruch hat. Für mein Verständnis ist das einfach Diebstahl, Steuerraub sozusagen. Letzteres ist ein Begriff, den es in der Rechtsprechung so wohl nicht gibt, aber die Sache ganz gut beschreibt. Und eines ist mir auch klar: Wenn Maschmeyer in diese Geschäfte verwickelt ist, ist das definitiv eine Story für den stern.

Die Lektüre des Archivmaterials erbrachte jedoch noch eine andere Erkenntnis: Das Thema Cum-Ex ist alles andere als neu. Bereits am 13. Juli 2009 hatte der Spiegel darüber berichtete. »Hase und Igel« lautete damals die Überschrift. »Mitten in der Wirtschaftskrise versuchen große Investoren, vom Fiskus Milliarden zu ergaunern. Das Bundesfinanzministerium (BMF) will die Steuertrickser nun stoppen.« In einem Briefwechsel zwischen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück und seinem hessischen Amtskollegen gehe es »um die jüngsten Steuertricksereien der Hochfinanz«. Eine anonyme Quelle habe dem BMF einen Tipp gegeben. In dem Artikel wird das Prinzip der Cum-Ex-Geschäfte bereits gut beschrieben.

Ein Absatz in der Spiegel-Story machte mir klar, was der anonyme Anrufer vor drei Tagen mit dem Hinweis meinte, Steinbrück sei daran beteiligt. Das BMF war bereits sieben Jahre vor dem Spiegel-Bericht auf die Problematik aufmerksam gemacht worden. »Im Dezember 2002« habe das Ministerium vom Bundesverband deutscher Banken »erste Hinweise auf den Missbrauch« erhalten. Die Länder seien im Spätsommer 2005 informiert worden. »Hat Steinbrücks Truppe also geschlafen?«, fragt der Spiegel. »Werden kleine Steuerzahler gepiesackt, während man die mächtigen Sünder laufen lässt?«

Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Medium über die »Steuerausfälle in Milliardenhöhe« durch die dubiosen Aktiengeschäfte berichtet: »Die Dimension des Problems ist offenkundig gigantisch.« Allerdings kommt der Begriff »Cum-Ex« in dem Artikel nicht vor. Das ist erst sechs Wochen später in einem weiteren Spiegel-Bericht der Fall: »Steueroase Deutschland«, lautet diesmal die Überschrift. »Finanzminister Steinbrück kämpft wegen der Krise mit wachsenden Staatsdefiziten. Und Konzerne wie Superreiche zahlen weiterhin zu wenig Steuern, oft völlig legal, denn die Schlupflöcher sind riesig.« Der Artikel widmet sich mehreren Tricks der »Steuervermeidungsindustrie«. Dies sei eine Branche, »die von den Fehlern lebt, die Ministerien und Parlament in der Steuergesetzgebung unterlaufen«.

Erwähnung findet auch Hanno Berger, jene Person, über die ich mich auf Anraten des anonymen Anrufers schlaumachen sollte. Der Spiegel nennt ihn »König der Steuertrickser«. Das Markenzeichen des Juristen sei: null Steuern für Multimillionäre. Den Fiskus auszutricksen sei für ihn eine »sportlich-intellektuelle Herausforderung«, wird Berger zitiert, der als »beleibter Endfünfziger mit dem Händedruck eines Bauarbeiters« beschrieben wird. Gegen Ende des Berichts geht es schließlich um die Cum-Ex-Aktiendeals.

Seltsamerweise hat der Artikel über einen »der größten Steuerskandale der Nachkriegsgeschichte« keine großen Wellen geschlagen. Im Pressearchiv finden sich in den Jahren nach den beiden Spiegel-Veröffentlichungen nur vereinzelt Artikel dazu, meist in Wirtschafts- und Börsenzeitungen. Dabei scheint die Dimension des von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachteten Skandals tatsächlich gigantisch zu sein. Der Gesamtschaden soll sich auf etwa zwölf Milliarden Euro belaufen.

Erst seit Ende 2012 gab es dann vermehrt Berichte über Cum-Ex. Auslöser waren Ermittlungen gegen die HypoVereinsbank, die bis über beide Ohren in dem Steuersumpf stecken musste. Nicht nur die Wirtschaftsfachblätter, sondern auch Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung berichteten jetzt über »Cum-Ex-Transaktionen« und bezeichneten sie als »Steuerhinterziehung im großen Stil«. Auch die Welt am Sonntag widmete sich dem Thema. »Steinbrücks Schlupfloch« lautete die Überschrift. Wie schon vier Jahre zuvor im Spiegel wurde der Bundesfinanzminister Steinbrück kritisiert, er habe dem Raubzug der Finanzindustrie nichts Wirkungsvolles entgegengesetzt. Das Schlupfloch bestehe darin, dass der Fiskus die Tricksereien gar nicht bemerke.

Trotz der Bedeutung und Dimension des Vorgangs fanden sich die Berichte zumeist nur auf den hinteren Seiten des Wirtschaftsteils und erreichten damit lediglich das Fachpublikum. Bei der Süddeutschen Zeitung schaffte es das Thema wenigstens einmal auf die Titelseite: »Schwerer Betrugsverdacht gegen Banken« lautete am 16. März 2013 die Schlagzeile. »Geldinstitute und Händler sollen den deutschen Fiskus durch kriminelle Aktiengeschäfte um viele Milliarden Euro geprellt haben. Staatsanwälte ermitteln in Hessen und Bayern.« Wie in den anderen Berichten standen auch in dieser Titelstory die Ermittlungen gegen die HypoVereinsbank im Zentrum. Aber auch andere Banken wie Dresdner Kleinwort, die zum Investmentbereich der Dresdner Bank gehört, oder die Commerzbank sollen mitten in der Finanzkrise versucht haben, mit Cum-Ex-Deals Milliarden vom Fiskus zu ergaunern. Im Fall der Commerzbank wäre das besonders dreist: Sie war während der Finanzkrise mit Milliardenkrediten des Bundes gestützt worden. Und gleichzeitig soll sie den Staat, der sie vor dem Niedergang bewahrt hatte, ausgeraubt haben.

Die Archivrecherche förderte noch ein anderes Ergebnis zutage, das mich bestärkte,...

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