Warum wir schwimmen - »Ein Juwel von einem Buch, eine Hymne aufs Wasser und unseren Platz darin.« James Nestor, Autor des SPIEGEL-Bestsellers »Breath. Atem« | Eine erfrischende Sommerlektüre

Warum wir schwimmen - »Ein Juwel von einem Buch, eine Hymne aufs Wasser und unseren Platz darin.« James Nestor, Autor des SPIEGEL-Bestsellers »Breath. Atem« | Eine erfrischende Sommerlektüre

von: Bonnie Tsui

HarperCollins, 2022

ISBN: 9783365000274

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 548 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Warum wir schwimmen - »Ein Juwel von einem Buch, eine Hymne aufs Wasser und unseren Platz darin.« James Nestor, Autor des SPIEGEL-Bestsellers »Breath. Atem« | Eine erfrischende Sommerlektüre



Eines Abends beim Essen erzählte mir mein Mann von einer Geschichte, die er gehört hatte. 1 Es ging dabei um ein Schiff im Nordatlantik und einen Mann, der eigentlich hätte ertrinken müssen: Spät am Abend des 11. März 1984 fischte ein Trawler in ruhiger See drei Meilen östlich der Insel Heimaey, die Teil einer Inselgruppe südlich von Island ist. Der Himmel war klar, in der Luft herrschten frostige zwei Grad minus. Fünf Männer befanden sich an Bord, darunter der gerade 22-jährige Steuermann Guðlaugur Friðƥórsson. Er hatte Freiwache und lag schlafend unter Deck, als er vom Koch mit der Nachricht geweckt wurde, das Schleppnetz habe sich auf dem Meeresgrund verfangen. Als Friðƥórsson an Deck kam, sah er, wie die Mannschaft versuchte, das Netz hochzuwinschen. Eine der Kurrleinen stand seitlich stark unter Zug, weshalb das Schiff so weit überholte, dass schon Wasser über die Reling spülte. Friðƥórsson rief eine Warnung, woraufhin Kapitän Hjörtur Jónsson Anweisung gab, den Zug auf der Winsch zu lockern. Doch dann klemmte die Winsch, und als eine Welle das Schiff anhob, kenterte es, und die Seeleute wurden ins eiskalte Wasser geschleudert.

Zwei der Männer ertranken sofort, während die übrigen drei, darunter Friðƥórsson, sich am Kiel des Bootes festklammern konnten. Doch gelang es ihnen nicht, die Rettungsinsel loszumachen, und schon bald sank der Trawler. In dem fünf Grad kalten Wasser blieb ihnen weniger als eine halbe Stunde, dann würden sie unterkühlt sein. 2 Die drei begannen Richtung Küste zu schwimmen. Nach wenigen Minuten waren nur noch Jónsson und Friðƥórsson am Leben.

Die beiden Männer riefen sich während des Schwimmens immer wieder etwas zu, um sich gegenseitig anzufeuern. Doch irgendwann antwortete auch Jónsson nicht mehr. Friðƥórsson, der blaue Arbeitshosen, ein rotes Flanellhemd und einen dünnen Pullover trug, schwamm weiter. Er sprach mit den Möwen, um sich wach zu halten, und einmal fuhr ein Boot nur knapp einhundert Meter entfernt an ihm vorbei, und er schrie so laut er konnte, doch an Bord bemerkte man ihn nicht. Er schwamm auf dem Rücken und behielt immer den Leuchtturm im Süden der Insel im Auge. Endlich hörte er die Brandung und betete, dass er nicht an den Felsen zerschmettert würde. Erschöpft, schrecklich durstig und ohne Gefühl in den Gliedmaßen geriet er an eine steile, unwegsame Klippe. Weil er dort nicht hochklettern konnte, schwamm er nochmals hinaus, korrigierte seinen Kurs weiter nach Süden, wo er endlich das Ufer erreichte und langsam über ein mehr als einen Kilometer breites Lavafeld aus spitzen, schneebedeckten Steinen auf die nächste Stadt zuwanderte. Zwischendurch stillte er seinen Durst, nachdem er die zentimeterdicke Eisschicht auf dem Wasser eingeschlagen hatte, an einer Schafstränke. Als er schließlich in der Stadt ankam, hatte er das Gefühl, alles sei zu schön, um wahr zu sein, und klopfte am ersten Haus, in dem Licht brannte. Er war barfuß und mit Reif überzogen, und hinter ihm auf dem Bürgersteig waren blutige Fußspuren zu sehen, die bis zu dem Haus führten.

Dies ist eine wahre Geschichte. Letztendlich hatte Friðƥórsson sechs Stunden in eiskaltem Wasser überlebt und war mehr als fünf Kilometer geschwommen, bis er an Land gelangte. Als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, konnten die Ärzte keinen Puls bei ihm feststellen, und dennoch zeigte er keine Anzeichen von Unterkühlung, sondern war lediglich dehydriert. 3

Friðƥórssons Physis, so stellte man fest, glich der einer Robbe. Wie Wissenschaftler später feststellten, besaß er eine vierzehn Millimeter starke Fettschicht, die ihn isolierte – zwei- bis dreimal so dick wie bei einem normalen Menschen und viel fester. 4 Dieser Mann ähnelte mehr einem Meeres- als einem Landsäuger wie dem Menschen. Seine biologische Besonderheit hatte ihn gerettet, indem sie ihn warm hielt, ihm Auftrieb gab und ihn befähigte weiterzuschwimmen. Manche nannten ihn einen echten »Selkie«, eine Mischung aus Mensch und Seehund, die in isländischen und schottischen Sagen vorkommt. Für mich ist er ein lebendiger Beweis dafür, dass wir uns noch nicht so weit vom Meer, aus dem wir stammen, entfernt haben.

Als Menschen bevölkern wir die Erde. Wir sind Landkreaturen mit einer Meeresvergangenheit. Geschichten wie die von Friðƥórsson faszinieren mich, weil ich wissen will, was heute noch von dieser Vergangenheit geblieben ist. In gewisser Weise sind alle Geschichten von Schwimmern – von den Najaden der griechischen Mythen bis zur Langstreckenschwimmerin Diana Nyad, die im Jahr 2013 von Kuba nach Florida schwamm – Versuche, unser an das Land angepasstes Wesen wieder mit dem Wasser vertraut zu machen. Wir Menschen sind keine geborenen Schwimmer, aber wir haben Wege gefunden, um die Fähigkeiten wiederzugewinnen, die wir besaßen, ehe die Evolution vor Hunderten von Millionen Jahren Land und Meer voneinander trennte.

Warum schwimmen wir, wenn uns die Evolution doch darauf spezialisiert hat, unsere Beute so lange jagen zu können, bis sie vor Erschöpfung zusammenbricht? Natürlich hat auch das mit dem Überleben zu tun: Irgendwann im Laufe der Entwicklung half uns das Schwimmen, von einem prähistorischen Seeufer zum anderen zu gelangen, um unseren eigenen Verfolgern zu entkommen, nach größeren Schalentieren zu tauchen und uns so neue Nahrungsquellen zu erschließen oder uns über den Ozean zu wagen und neues Land zu besiedeln und schließlich alle Arten von Gefahren im Wasser überwinden und das Schwimmen als eine Quelle der Freude, des Vergnügens und als Errungenschaft erleben zu können. Und heute hier darüber schreiben zu können, warum wir schwimmen.

Mit diesem Buch möchte ich dem nachgehen, was uns, trotz seiner Gefahren, immer wieder zum Wasser zieht. Für mich bedeutet Schwimmen so viel mehr als nur im Wasser zu überleben. Schwimmen kann heilend und gesund sein – ein Weg zum Wohlbefinden. Schwimmen kann ein Weg sein, Gemeinschaft zu finden, als Mannschaft, in einem Klub oder an einem Ort, den man gern aufsucht. Wir müssen uns nur gegenseitig im Wasser beobachten, dann wissen wir, dass Wasser auch Raum zum Spiel schafft. Wenn wir merken, dass wir gute Schwimmer sind, kann uns das Antrieb sein, uns mit anderen zu messen und im Schwimmbad oder See zu zeigen, was in uns steckt. Doch Schwimmen ist nicht nur eine Frage des Körpers, sondern auch des Geistes. Indem man seinen Rhythmus im Wasser findet, entdeckt man eine neue Daseinsform in der Welt, man ist im Fluss. Dieses Buch handelt von unserer Beziehung zum Wasser und davon, wie das Eintauchen darin unsere Vorstellungskraft entfesseln kann.

Mehr als 70 Prozent unseres Planeten sind von Wasser bedeckt; mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung leben nicht weiter als zehn Kilometer von der nächsten Küste entfernt. 5 Dieses Buch wurde geschrieben für Schwimmer und alle neugierigen Menschen jeder Art und jeden Alters, ganz gleich, ob es ihnen um Geschwindigkeit, die zurückgelegte Strecke oder um die Grenzen der eigenen Erfahrung geht. Für alle, die noch den Gesang der Sirenen im Wasser vernehmen und auch für diejenigen von uns, die sich selbst verstehen und so den verlorenen stillen Zustand des einfachen Seins wieder ergründen wollen – ohne Technologie, ohne Klingeltöne, in den Ursprüngen unseres menschlichen Daseins im Wasser.

Wir stürzen uns in alle Arten von Gewässer: Ozeane, Seen, Flüsse, Ströme oder Schwimmbecken. Mit den Rettungsschwimmern, den Wächtern dieser Orte, verbindet uns eine romantische Beziehung. Dort, wo diese Dinge zusammenkommen, beginnt meine Familiengeschichte – nicht zuletzt, weil meine Mutter und mein Vater sich in einem Schwimmbecken in Hongkong kennenlernten.

Ich lernte bereits im Alter von fünf Jahren schwimmen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil meine Eltern verhindern wollten, dass ich in der Badewanne, im Gartenpool der Nachbarn oder am Strand ertrinke. Als Kind verbrachte ich am Jones Beach in New York viel Zeit in dem etwa einen Meter tiefen Wasser dieses muschelförmigen, ausgefransten Ufers des Atlantiks. Ich sehe es noch deutlich vor mir: Mein Bruder, meine Cousins und ich hüpfen in dem flachen Wasser auf und nieder und warten auf eine Welle, die kommen und uns mitnehmen soll. Wir rudern uns mit den Armen über den Abhang der Welle, bis sie bricht und uns wieder im aufgeschäumten Bereich abwirft, wo Wasser auf Sand trifft. Aufstehen, lachen, noch einmal.

Wir sind fasziniert von diesem wogenden Wasserberg. Jeder von uns ist das. Wenn es heiß ist oder an einem Feiertag können sich am Jones Beach hunderttausend Menschen tummeln. Die Rettungsschwimmer halten von ihren erhöhten Sitzen aus Wache und behalten durch verspiegelte Sonnenbrillen die Menge im Blick.

So ein Tag am Strand hat etwas von einem Urbedürfnis – als würden alle Tiere zur Wasserstelle streben. Das Wasser wirkt wie ein Magnet auf die wuselnde Menschenmenge. Ich beobachte die verschiedenen Arten, wie die Menschen baden gehen. Manche wollen sich nur abkühlen: Sie berühren das Wasser wie elektrisiert und rennen schnell wieder raus. Andere bleiben eine Weile, lassen sich treiben, planschen und schwimmen. Es gibt auch immer welche, die auf Abstand bleiben und gar nicht ins Wasser gehen. Aber auch sie kommen – vom Pulsieren des Ozeans hypnotisiert, angelockt vom Grollen der Brandung und dem Geruch der salzigen Luft.

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