Baskischer Neid - Kriminalroman

Baskischer Neid - Kriminalroman

von: Julen Zabache

HarperCollins, 2022

ISBN: 9783749903481

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 2695 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Baskischer Neid - Kriminalroman



3.


Im Zwischenflur betrachtete Ibara zunächst kurz die Schalen und Teller, die sich in den schmalen Regalen stapelten. Einige schienen spezielle Anfertigungen zu sein und erinnerten ihn eher an Kunstwerke aus Ton. Es gab welche, die aussahen wie eine Klippe, andere wie Flysch, eine Gesteinsform am Strand von Zumaia, die an das Schuppenkleid eines Drachen erinnerte. Es war Ibara schleierhaft, wie darauf noch Essen Platz finden sollte, selbst wenn es nur kleine pintxos waren. In einer Spülmaschine ließen sich diese Teller jedenfalls nicht reinigen.

Kopfschüttelnd drückte er die Klinke der zweiten Tür, die, wie Iturriko versprochen hatte, unverschlossen war. Dahinter empfing ihn ein schmaler, fensterloser Durchgang, der vor einer steilen Stiege endete, die ungefähr nach der Hälfte eine Einhundertachtzig-Grad-Wendung machte. Sofas oder Kühlschränke gelangten sicherlich auf einem anderen Weg in die Wohnung. Die Erbauer dieses Hauses hatten keinen Platz für breite Treppen verschwenden wollen. Ibara fand diese Enge beklemmend.

Oben angekommen atmete er daher erleichtert auf, als sich ein quadratischer Flur vor ihm öffnete: klein, aber immerhin mit einer hohen Decke. Ibara hatte die Auswahl zwischen vier weiteren Türen, die alle mindestens eine Handbreit offen standen. Rechts von sich hörte er Stimmen, die eine eher verzweifelt, flehend, die andere knurrend wie ein schlecht gelaunter Hund. Es brauchte nicht viel Fantasie, um zu erraten, welche Stimme zu wem gehörte.

Ibara trat an die Tür heran und klopfte gegen den hölzernen Rahmen. Dahinter befand sich ein gemütlich eingerichteter Wohnraum mit zwei Fenstern zur Straße, von denen das rechte offen stand. Nach links führte eine Tür in ein weiteres Zimmer. Bodenlange bordeauxrote Vorhänge, die einen angenehmen Kontrast zu den weizengelb gestrichenen Wänden bildeten, bauschten sich leicht im Wind.

Arbós saß auf einem mahagonifarbenen Zweiersofa und hatte die Hände zwischen den Knien gefaltet. Obwohl es kühl im Raum war, konnte Ibara die vertrauten Schweißränder auf dessen Jackett erkennen. Beinahe glaubte er auch, den entsprechenden Geruch wahrzunehmen. Seinem Gegenüber schien dagegen kalt zu sein, er trug einen dicken Strickpulli mit rot-weißen Querstreifen über einer Jeans. Ibara erkannte Raul Fornier unschwer von dem Foto wieder, wobei er in natura noch größer wirkte, obwohl er vornübergebeugt in einem Rattansessel saß, als trüge er die Last der Welt auf seinen Schultern. Was verständlich war. Seine Dreadlocks standen wirr in alle Richtungen ab. Er war unrasiert, seine Unterlippe zitterte, und er hielt die Hände ineinander verkrampft.

Arbós blickte auf und machte große Augen. »Comisario Rafael Ibara aus Zarautz.« Er zog die Augenbrauen nach oben, damit das unausgesprochene Sie haben mir gerade noch gefehlt auch ankam.

Ibara dachte nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. »Buenos días, Comisario Arbós«, grüßte er ganz förmlich. »Die Kollegin aus der Comisaría hat uns Bescheid gegeben. Ich wollte Ihnen meine Unterstützung anbieten.«

Raul Fornier warf ihm einen flehentlichen Blick zu, als wollte er diese Unterstützung für sich erbitten und endlich aus dieser Situation erlöst werden. Arbós starrte ihn dagegen lange an. Es war unmöglich, seine Miene zu deuten, er sah aus, als habe er unfreiwillig eine Fliege verschluckt.

Plötzlich sprang der beleibte Mann mit einer Behändigkeit auf, die Ibara ihm niemals zugetraut hätte, und schoss mit dem Zeigefinger Richtung Fornier, als wollte er ihn aufspießen. »Sie warten hier.«

Ibara hörte noch ein resigniertes »Wo soll ich denn sonst hin?«, als er auch schon von Arbós aus dem Raum gezerrt wurde. Sie gingen in das Zimmer gegenüber, Ibara musste sich unter dem Türrahmen hindurchducken. Dann betraten sie ein kleines Büro, das genau Platz für einen großen Schreibtisch und einen Aktenschrank bot. Überall lagen Papiere, Ordner, Belege herum. Das meiste waren Rechnungen, soweit Ibara das auf den ersten Blick erkennen konnte.

»Der verbirgt etwas. Ich weiß nicht, wie ich den knacken soll«, brach es unvermittelt aus Arbós hervor.

Ibara war vollkommen überrumpelt. Das war das erste Mal, dass der Mann aus Bilbao zu ihm sprach wie zu einem ganz normalen Kollegen und nicht wie zu einem begriffsstutzigen Kind. Das sollte er ausnutzen, diese ungewöhnliche Stimmung würde sicher nicht lange anhalten.

»Glauben Sie, dass er seine Lebensgefährtin …«, ein Blick auf den Schreibtisch, »… und Geschäftspartnerin umgebracht hat?«

Arbós schnaufte wie ein Blasebalg. »Er ist Franzose!« Er sagte das, als würde er einem Angehörigen dieser Nationalität alles zutrauen. »Paola Ortiz war Baskin und hier aus der Gegend. Klar, so ein Restaurant lebt hauptsächlich von Reisenden, die meisten Einheimischen können sich den Laden gar nicht leisten. Haben Sie mal die Preise gesehen? Aber dennoch sind Beziehungen alles. Gerade hier, gerade in so einem kleinen Ort. Der kann nicht allein weitermachen. Die sind gerade hier von dieser Vereinigung ausgezeichnet worden, dieser baskischen Dings …« Er rührte mit dem Finger in der Luft.

»EUSKADI Gastronomika?«

»Ja, genau. Sind Sie auch einer dieser Feinschmecker?«

»Nein, aber wäre das denn schlimm?« Dieses Mal konnte Ibara sich den Kommentar nicht verkneifen. Arbós’ Art, alles und jeden herabzuwürdigen, nervte ihn schon wieder, kaum dass er wenige Minuten in der Gegenwart des Mannes verbracht hatte.

»Ist mir egal. Jedenfalls waren die ganz groß unterwegs. Regionale Produkte, nur das Beste vom Besten. Angeblich auf dem Weg, sich einen Michelin-Stern zu erkochen. Frisch in einen Verein aufgenommen, der sich Les Mutins nennt.« Er schnappte nach Luft. »Ohne die Ortiz kann der seine Kochbude zumachen – hier in dem Kaff, wo die sich alle kontrollieren. Die Bauern verkaufen dem doch nichts. Der ist ja nicht nur ein Fremder, sondern auch noch ein …«

Nein, dachte Ibara verzweifelt, nicht auch das noch.

»… ein … na, Sie wissen schon.«

Ibara schwieg, auch wenn er sich in dem Moment dafür hasste. Er hätte nicht gewusst, wie er reagieren sollte, falls das Wort gefallen wäre. Wahrscheinlich aber hätte er selbst gar nichts tun müssen, denn der Blick seines Kollegen sagte schon alles. Außerdem hatte er erlebt, was es bedeutete, von Miguel Arbós verdächtigt zu werden. Er war schnell und kategorisch mit seinem Urteil, und wenn er der Meinung war, den Schuldigen vor sich zu haben, setzte er alles in Bewegung, denjenigen in Haft zu bringen. Ihm ging es nicht um Gerechtigkeit, allein der schnelle, schillernde Erfolg zählte. Neue Erkenntnisse oder gar Hinweise auf die Unschuld eines Verdächtigen ließ er nur schwer zu. So hatte er damals einen jungen Mann aufgrund von ziemlich fadenscheinigen Gründen in Untersuchungshaft gebracht. Zum Glück hatte die Justiz funktioniert, und der angebliche Verdächtige kam schnell wieder frei, doch es hatte das Leben des jungen Mannes nachhaltig verändert – und zwar nicht zum Guten.

Vermutlich entsprangen solche Unterstellungen, die Menschen hier hätten gegenüber Fornier aufgrund seiner Hautfarbe Vorurteile, eher Arbós’ eigener Überzeugung und weniger den Tatsachen. Selbst wenn sich später herausstellen würde, dass er der Täter war, hatte er nicht verdient, jetzt schon als Mörder vorverurteilt zu werden, einfach weil niemand sonst in Arbós’ Reichweite war. Ibara blieb bei seinem Schweigen. Und das, so stellte er immerhin erfreut fest, verunsicherte Arbós allmählich.

»Der hat was zu verbergen«, beharrte er.

»Ich könnte ja mal mit ihm reden.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.« Er wandte sich zum Gehen.

Ibara blieb allein im Raum zurück. Er hörte, wie Arbós im Flur herumkeifte. Wenig später folgten Schritte auf der Treppe. Mit einem kurzen Anfall von Bösartigkeit wünschte sich Ibara, Humpty Dumpty möge auf der Treppe ausrutschen und wie das Ei, die Kinderfigur, nach der seine Kollegin Alba Olea ihn benannt hatte, einfach zerbrechen. Oder wenigstens in dem schmalen Gang stecken bleiben.

Müßig betrachtete er die Papierstapel und staunte über die Preise von heimischem Ziegen-Camembert und sortenreinem Olivenöl. Selbst wenn die Menüs im Restaurant wirklich so viel kosteten, wie Arbós gesagt hatte, wie rechnete sich so etwas? Hatten die beiden Schulden? Ibara fragte sich gerade, ob er gedanklich den Falschen in Schutz genommen hatte und Raul Fornier dabei war, eine beträchtliche Lebensversicherung zu kassieren, als der Mann sich unter dem Türrahmen durchduckte und eintrat.

»Schauen Sie ruhig alles durch, ich habe nichts zu verbergen.« Seine Stimme brach.

Ibara ging auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. Viel lieber hätte er seinem Gegenüber tröstend auf die Schulter geklopft, denn der Mann war ihm einfach auf Anhieb sympathisch gewesen. Doch ihm war klar, dass er einen gewissen Abstand wahren sollte, völlig unverdächtig war er nun einmal nicht.

Raul lächelte tapfer, und das verräterische Glitzern in seinen dunkelbraunen Augen verschwand. »Ich begegne nicht oft jemandem auf Augenhöhe. Spielen Sie Basketball?«

»Ein Klassiker, oder?« Ibara grinste. »Ich jogge, wenn ich dazu komme, und habe früher Kampfsport betrieben.«

»Sehe ich Ihnen an. Was genau?«

»Judo und später Capoeira.«

»Im Ernst?«

»Ja. Ein paar Portugiesen haben mich in meiner Jugend dazu verführt.«

»Wie cool. Da, wo ich aufgewachsen bin, war...

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