Es gibt keine Zufälle - Synchronizität und die Geschichte(n) unseres Lebens

Es gibt keine Zufälle - Synchronizität und die Geschichte(n) unseres Lebens

von: Robert H. Hopcke

Hogrefe AG, 2012

ISBN: 9783456750897

Sprache: Deutsch

231 Seiten, Download: 2437 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Es gibt keine Zufälle - Synchronizität und die Geschichte(n) unseres Lebens



Die Geschichten, die wir erleben. Die Verbindungen, die wir herstellen

«Man kann dem Roman also nicht vorwerfen, vom geheimnisvollen Zusammentreffen der Zufälle fasziniert zu sein … dem Menschen aber kann man zu Recht vorwerfen, dass er im Alltag solchen Zufällen gegenüber blind sei und dem Leben so die Dimension der Schönheit nehme.»

Milan Kundera,
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Am Anfang dieses Buchs stand eine einzige, einfache Frage im Anschluss an einen jener ganz besonderen Träume, wie wir sie gelegentlich haben. In dem Traum wurde ich in eine Geschichte verwickelt, die ich gerade schrieb, und es gelang mir einfach nicht, die Personen meiner Geschichte davon zu überzeugen, dass ich in Wirklichkeit ihr Schöpfer war und nicht in die Handlung gehörte. Erschöpft von den vergeblichen Bemühungen, aus meiner eigenen Geschichte herauszukommen, und gleichzeitig amüsiert über meine missliche Lage, erwachte ich. Mein Leben als Autor, Leser und Therapeut ist voll von Geschichten. Ich erzähle Geschichten. Ich lese Geschichten. Menschen erzählen mir ihre Geschichten. Und so dachte ich am Morgen nach jenem besonderen und sehr lebendigen Traum, der mich nicht mehr losließ, über Geschichten und ihre Rolle in unserem Leben nach.

Geschichten, die wir erzählen oder die wir hören, bestimmen unser Leben. Wir kehren abends von der Arbeit nach Hause und werden mit der Frage empfangen: «Wie war dein Tag?» Anders ausgedrückt heißt das: «Erzähl mir bitte die Geschichte, die du heute erlebt hast.» Wir treffen uns mit einer Freundin zum Essen, und noch bevor wir zur Serviette greifen, fragt sie: «Was gibt’s Neues?» Mit anderen Worten: «Erzähl mir eine Geschichte.» Eltern wissen, dass man Kinder zum Geschichtenerzählen nur selten ermuntern muss. Sie leben im Land der Geschichten und erzählen sie ganz spontan – ob die Erwachsenen sie hören wollen oder nicht – und oft mit verblüffender Genauigkeit.

Angesichts dieser banalen Erkenntnisse kam mir die Frage in den Sinn: «Und wenn der Traum nun wahr ist? Wenn ich tatsächlich eine Person in einer Geschichte bin?» In gewisser Weise wusste ich bereits, dass es so ist. Würde man meine Eltern über mich ausfragen, fände man bestätigt, dass ich eine Person in vielen Geschichten bin – in diesem Fall in ihren Geschichten. Man könnte auch meine Freunde, meine Patienten oder meine Mitarbeiter fragen – alle würden Geschichten über mich erzählen.

Doch darum ging es mir bei meiner Frage nicht. Was wäre, wenn ich – wenn jeder von uns – wirklich eine Person in einer Geschichte ist? Wenn das, was wir als unser Leben erfahren, tatsächlich eine Art Roman ist? Können wir das erkennen? Vorausgesetzt, die Handlung ist zusammenhängend und die handelnden Personen und ihr Leben sind glaubwürdig, wie soll eine Person in einer Geschichte dann merken, dass sie sich in einer Geschichte befindet? Natürlich könnte nur jemand, der außerhalb der Geschichte steht, irgendeine übergeordnete Instanz, der Person bewusst machen, was für eine Art von Geschichte sie da erlebt. Doch gleichzeitig müsste diese wie auch immer geartete Instanz selbst Bestandteil der Geschichte sein. Und müsste es nicht auch eine Bedeutung haben, einen Sinn ergeben, dass die Geschichte eine Handlung, Charaktere, einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat?

Fast jeden Tag ereignet sich in unserem Leben etwas, das wir Zufall oder Koinzidenz nennen. Zwei Dinge geschehen, und die Art und Weise, wie sie miteinander verknüpft sind, erregt unsere Aufmerksamkeit. Manche Koinzidenzen haben offensichtlich keinen großen Einfluss auf unsere Gefühle und unser Denken, also keine besondere Bedeutung für unser Leben. Sie sind, wie wir sagen, «nur Zufall».

Doch jeder, der sich bewusst ist, welche Wirkung Geschehnisse auf Menschen haben können, hat auch schon eine andere Art von Zufall erlebt, ein Zusammentreffen von Ereignissen, das uns aufwühlt. In einem solchen Augenblick spüren wir, dass uns etwas Wichtiges, etwas höchst Bedeutsames widerfährt. Wir erkennen einen Sinn im Zufälligen. Anderen mögen solche Begebenheiten als «bloßer Zufall», als unbedeutendes zeitliches Zusammentreffen von Ereignissen erscheinen, doch wir erleben sie anders. Die bedeutsame Gleichzeitigkeit von Ereignissen bezeichnete der Schweizer Tiefenpsychologe C. G. Jung als «Synchronizität».

Diesem Buch liegt der Gedanke zugrunde, dass unser Leben in der Tat eine Geschichte ist und dass uns synchronistische Ereignisse das bewusst machen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, was ich meine.

Meine Freundin Ann hatte in einer bestimmten Lebensphase immer wieder Affären mit verheirateten Männern. Sie war frisch geschieden und wollte sich nicht binden; so ging sie eine Reihe längerer sexueller Beziehungen zu Männern ein, die sich ihren Ehefrauen entfremdet hatten. Damals war es ihr gerade recht, «die andere Frau» zu sein. Eine Beziehung begann während eines Urlaubs in Mexiko. Der Mann hieß Dan, hatte sich unlängst von seiner Frau getrennt und war mit seinem Boot in den Süden gereist. (Als Anns Vertrauter erfuhr ich alle Einzelheiten.) Es war eine leidenschaftliche Romanze, so intensiv wie Urlaubsbekanntschaften oft sind. Obwohl die beiden fast hundertfünfzig Kilometer entfernt voneinander wohnten, setzten sie ihre Beziehung nach dem Urlaub fort. Dan war attraktiv, wohlhabend und ein fantastischer Liebhaber. Ann verliebte sich in ihn. Ungefähr ein Jahr lang fuhr er zu jeder Tages- und Nachtzeit zu ihr, um sie kurz zu besuchen oder um bei ihr zu übernachten. Doch dann schienen sich seine Gefühle allmählich zu verändern. Die Trennung von seiner Frau belastete ihn zunehmend. Ihm wurde klar, dass er zu der Frau gehörte, mit der er seit vielen Jahren verheiratet war, so viel Ann ihm auch bedeutete. Und so ging die intensive Beziehung zwischen Ann und Dan langsam und schmerzhaft zu Ende.

Ann ist eine lebenserfahrene Frau, die auch mit schmerzlichen Gefühlen umzugehen weiß. Sie setzte ihr gewohntes Leben fort. Ein Jahr verging. Sie dachte zwar häufig an Dan, widerstand aber der Versuchung, ihn anzurufen, um die Situation nicht unnötig zu komplizieren. Eines Tages schlug eine Freundin ihr einen Ausflug in den Küstenort vor, in dem Dan lebte. Ann zögerte und überlegte sich, wie es wohl sein würde, durch die Stadt zu gehen, in der Dan mit seiner Frau lebte, in der er seine Firma leitete und in deren Hafen sein Boot vor Anker lag. Doch schließlich fuhr sie mit.

Es war einer jener herrlichen Frühlingstage, an denen man sich fühlt, als sei man verliebt, auch wenn man es gar nicht ist. Und wie nicht anders zu erwarten, meinte Ann überall die Gegenwart ihres Geliebten zu spüren. Doch sie schaffte es, ihn nicht anzurufen, und verkniff sich auch einen Abstecher zu seinem Haus oder seinem Boot; überdies hätte sie erst Nachforschungen anstellen müssen, um ihn oder sein Boot in dieser völlig fremden Stadt zu finden. So machte sie mit ihrer Freundin einen Stadt-und Einkaufsbummel, aß in einem Restaurant am Strand zu Mittag und betrachtete vor der Heimfahrt noch einen wunderschönen Sonnenuntergang über dem Meer. Zu Hause schloss sie, den Kopf voller Reiseeindrücke und Erinnerungen an Dan, gerade die Tür auf, als das Telefon klingelte. Sie nahm ab und hörte zu ihrem Erstaunen eine ihr nur allzu vertraute Stimme: «Hallo, Ann. Hier ist Dan. Aus irgendeinem Grund musste ich den ganzen Tag an dich denken. Da dachte ich, ich rufe einfach mal an und frage dich, wie es dir geht.»

Die Geschichte klingt erfunden, fast wie eine Episode aus einem Film. Erst einmal ist das «Timing» zu perfekt: Ann erhielt den Anruf von ihrem Ex-Geliebten genau in dem Augenblick, als sie nach einem Ausflug in seine Heimatstadt ihr Haus betrat. Doch das ist der springende Punkt. Ich habe festgestellt, dass die besondere Verknüpfung von Umständen, um die es in meinem Buch geht, das bedeutsame Zusammentreffen von Ereignissen, das ich synchronistisch nennen werde, immer etwas Dramatisches oder Romanhaftes hat, und zwar deshalb, weil in solchen Situationen ein Vorfall in der äußeren Welt – Dans Anruf – einen inneren Zustand – Anns Gefühle für Dan – widerspiegelt. Kaum jemand wird ernsthaft behaupten, dass äußere Ereignisse üblicherweise unsere innersten Gefühle widerspiegeln und bestätigen oder entscheidend verändern; doch gelegentlich kommt es vor. Eine wahre Geschichte kann ebenso seltsam sein wie eine erfundene.

Zweitens fällt es angesichts der emotionalen Bedeutung von Dans Anruf schwer, ihn als ein rein zufälliges Ereignis abzutun. Die meisten Menschen suchen in solchen Fällen nach allen möglichen «vernünftigen» Erklärungen: Dan sah Ann an diesem Tag in seiner Heimatstadt, vergaß es aber; oder er nahm ihre Gegenwart nur unbewusst wahr und rief sie später an; oder er spürte auf irgendeine mystische Weise, dass sie da war; oder sie schickte ihm «Schwingungen», die «bewirkten», dass er sie anrief. Tatsache ist, dass Dans Anruf – an diesem Tag zu dieser Zeit – ein Zufallsereignis war, allerdings ein Zufallsereignis besonderer Art, da es für Ann große Bedeutung hatte: Nachdem sie den ganzen Tag von Erinnerungen an Dan bestürmt worden war, wurde die Verbindung ohne ihr Dazutun wiederhergestellt.

In dieser besonderen Bedeutung liegt der Unterschied zwischen bloßen Zufallsereignissen und synchronistischen Ereignissen. Hätte Ann in dem Augenblick, in dem sie ihr Haus betrat, einen Anruf von ihrer Mutter erhalten, wäre das natürlich auch ein Zufallsereignis gewesen. «Hallo, Mama, lustig, dass du gerade jetzt anrufst....

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