Alles über Liebe. Neue Sichtweisen - New York Times-BESTSELLER | Deutsche Erstausgabe von TikTok-Liebling »All About Love«

Alles über Liebe. Neue Sichtweisen - New York Times-BESTSELLER | Deutsche Erstausgabe von TikTok-Liebling »All About Love«

von: bell hooks

HarperCollins, 2021

ISBN: 9783749951147

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 575 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Alles über Liebe. Neue Sichtweisen - New York Times-BESTSELLER | Deutsche Erstausgabe von TikTok-Liebling »All About Love«



Einleitung

Gnade:
Berührt von der Liebe

Es ist tatsächlich möglich, direkt mit dem Herzen zu sprechen. Die meisten alten Kulturen wissen das. Wir können mit unserem Herzen kommunizieren, als wäre es ein guter Freund. In unserem modernen Leben sind wir so sehr mit alltäglichen Angelegenheiten und Gedanken beschäftigt, dass wir die wesentliche Kunst vergessen haben, uns Zeit zu nehmen und mit unserem Herzen zu kommunizieren.

– Jack Kornfield

In meiner Küche hängen vier Schnappschüsse eines Graffitis, das ich vor Jahren an einer Baustelle auf dem Weg zur Yale University sah, an der ich damals unterrichtete. In leuchtenden Farben stand dort: »Die Suche nach Liebe hält auch großen Widrigkeiten stand.« Meine Beziehung war nach 15 Jahren gerade in die Brüche gegangen, daher wurde ich oft von Kummer überwältigt, der sich anfühlte, als ob eine riesige Welle aus Schmerz mein Herz und meine Seele fortspülen würde. Überwältigt von dem Gefühl, in die Tiefe gezogen zu werden und zu ertrinken, suchte ich ständig nach Halt, um mich über Wasser zu halten und sicher zurück ans Ufer zu kommen. Die Aussage auf der Mauer des Rohbaus, umgeben von wie mit kindlicher Hand gezeichneten, nicht genau identifizierbaren Tieren, hob stets meine Laune. Wenn ich an der Baustelle vorbeikam, gab mir die Botschaft von der Kraft der Liebe, die sich über die ganze Mauer zog, stets Hoffnung.

Die Worte, die ein lokaler Künstler mit seinem Vornamen signiert hatte, sprachen direkt zu meinem Herzen. Bei ihrem Anblick war ich mir sicher, dass der Künstler gerade eine Krise durchmachte und mit einem Verlust kämpfte oder mit der Möglichkeit eines Verlusts. In Gedanken führte ich mit ihm imaginäre Gespräche über die Liebe. Ich sagte ihm, dass seine spielerische Graffitikunst ein Rettungsanker für mich war und mir den Glauben an die Liebe wiedergab. Ich sprach mit ihm darüber, wie seine Botschaft vom Versprechen der Liebe, die nur darauf wartet, gefunden zu werden, mich aus dem Abgrund emporhob, in den ich gestürzt war. Ich empfand eine tiefe, verzweifelte Traurigkeit, ausgelöst durch die Trennung von meinem langjährigen Partner. Doch meine Verzweiflung gründete auch in der Angst, die Liebe würde womöglich gar nicht existieren und könne daher auch nicht gefunden werden. Und selbst wenn sie irgendwo im Verborgenen schlummerte, würde ich sie womöglich mein Leben lang nicht kennenlernen. Es fiel mir schwer, weiterhin an das Versprechen der Liebe zu glauben, wenn überall, wohin ich mich wandte, die Faszination der Macht oder der Schrecken der Angst den Willen zur Liebe überschatteten.

Als ich eines Tages auf dem Weg zur Arbeit war und mich schon auf die Meditation über die Liebe freute, zu der mich der Anblick des Graffitis immer anregte, musste ich entsetzt feststellen, dass die Baufirma die Wand mit weißer Farbe übertüncht hatte, die so grell war, dass man darunter nur noch schemenhaft das ursprüngliche Kunstwerk erkennen konnte. Fassungslos, dass eine Botschaft, die für mich zu einer rituellen Bestätigung für die Gnade der Liebe geworden war, nicht mehr länger da war, um mich täglich zu grüßen, erzählte ich jedem von meiner Enttäuschung. Schließlich wurde mir das Gerücht zugetragen, dass das Graffiti übertüncht worden war, weil es Bezug auf HIV-Infizierte nähme und der Künstler womöglich schwul sei. Vielleicht. Doch es könnte auch gut sein, dass sich die Verantwortlichen, die die Mauer streichen ließen, von diesem öffentlichen Bekenntnis zur Liebe bedroht fühlten – von einer Sehnsucht, die so intensiv ist, dass man ihr nicht nur Ausdruck verleiht, sondern gezielt danach sucht.

Nach langer Suche machte ich den Künstler schließlich ausfindig und konnte mich persönlich mit ihm über die Bedeutung der Liebe unterhalten. Wir sprachen darüber, wie Kunst im öffentlichen Raum ein Vehikel für den Austausch lebensbejahender Gedanken sein kann. Und wir brachten beide unseren Kummer und Ärger darüber zum Ausdruck, dass die Baufirma eine starke Botschaft der Liebe so gefühllos übertüncht hatte. Zur Erinnerung schenkte mir der Künstler einige Schnappschüsse des Graffitis. Seit dieser Begegnung habe ich die Fotos immer über der Spüle in meiner Küche hängen, egal wo ich wohne. So habe ich sie jeden Tag vor Augen, ob ich nun einen Schluck Wasser trinke oder Geschirr aus dem Schrank nehme, und werde daran erinnert, dass wir uns nach Liebe sehnen – dass wir sie suchen –, selbst wenn wir die Hoffnung aufgegeben haben, sie tatsächlich zu finden.

In unserer Kultur wird derzeit kaum noch öffentlich über die Liebe diskutiert. Allenfalls in der Populärkultur ist unsere Sehnsucht nach Liebe ein Thema. Filme, Musik, Zeitschriften und Bücher sind unsere Anlaufstellen, wenn wir unserer Sehnsucht nach Liebe nachgehen wollen. Allerdings ist das nicht der lebensbejahende Diskurs der Sechziger- und Siebzigerjahre, als uns der Leitspruch »All you need is love« vermittelt wurde. Heutzutage sind vor allem Botschaften populär, die uns die Sinnlosigkeit der Liebe verkünden, ihre Irrelevanz. Ein typisches Beispiel für diesen kulturellen Wandel war die enorme Popularität eines Songs von Tina Turner, in dem forsch gefragt wurde »What’s Love Got to Do with It«. Und in einem Interview antwortete mir eine bekannte Rapperin, die mindestens zwanzig Jahre jünger ist als ich, zu meiner großen Bestürzung auf die Frage nach der Rolle der Liebe mit beißendem Sarkasmus: »Liebe, was soll das sein – Liebe ist eine Erfahrung, die ich noch nie in meinem Leben gemacht habe.«

Die Jugendkultur von heute geht zynisch mit der Liebe um. Und dieser Zynismus beruht auf dem umfassenden Gefühl, dass die Liebe nicht zu finden ist. Harold Kushner formuliert diese Sorge in seinem Buch When All You’ve Ever Wanted Isn’t Enough: »Ich fürchte, wir ziehen eine Generation junger Leute groß, die als Erwachsene Angst vor der Liebe haben werden, Angst davor, sich voll und ganz auf einen anderen Menschen einzulassen, weil sie erfahren haben, wie schmerzlich es sein kann, das Risiko der Liebe auf sich zu nehmen, wenn eine Beziehung nicht funktioniert. Ich fürchte, sie werden aufwachsen und nach Intimität ohne Risiko suchen, nach Vergnügen, ohne sich emotional einzubringen. Sie werden so große Angst vor dem Schmerz der Enttäuschung haben, dass sie auf Liebe und Freude verzichten werden.« Junge Menschen sind zynisch, wenn es um Liebe geht. Doch am Ende ist Zynismus die Maske eines enttäuschten und betrogenen Herzens.

Bei meinen Vorträgen über Rassismus und Sexismus reagiert meine Zuhörerschaft, vor allem die jüngere, irritiert oder gereizt, wenn ich über den Stellenwert der Liebe in einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit spreche. Dabei haben alle bedeutenden Bewegungen für soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft stets den Wert der Liebesethik betont. Dennoch reagieren junge Leute zurückhaltend, wenn es um die Vorstellung von Liebe als transformative Kraft geht. In ihren Augen ist Liebe etwas für die Naiven, die Schwachen, die hoffnungslosen Romantiker*innen. Ihre Haltung gibt die der Erwachsenen wieder, an die sie sich auf der Suche nach Erklärungen wenden. Als Sprecherin einer desillusionierten Generation erklärt Elizabeth Wurtzel in Bitch – ein Loblied auf gefährliche Frauen: »Niemand von uns wird beim Lieben besser: Unsere Angst wird immer größer. Wir sind dafür nicht richtig ausgerüstet und unsere bisherigen Entscheidungen verstärken nur unser Gefühl, dass es hoffnungslos und nutzlos ist.« Ihre Worte bringen all das zum Ausdruck, was ich bereits von einer älteren Generation über die Liebe gehört habe.

Wenn ich mit meiner Generation über Liebe sprach, stellte ich fest, dass fast alle nervös oder ängstlich reagierten, vor allem wenn ich sagte, dass ich mich nicht genügend geliebt fühle. In Gesprächen mit Freund*innen wurde mir mehrfach geraten, eine Therapie zu machen. Einige Freund*innen hatten wohl einfach genug davon, dass ich immer wieder das Thema Liebe zur Sprache brachte, und dachten, wenn ich zur Therapie ginge, hätten sie Ruhe. Doch die meisten hatten einfach Angst vor dem, was bei einer Beschäftigung mit der Liebe und ihrer Bedeutung in unserem Leben zutage käme.

Wenn eine alleinstehende Frau über vierzig auf das Thema Liebe zu sprechen kommt, wird oft vermutet, sie sehne sich »verzweifelt« nach einem Mann. Diese Annahme gründet in einer sexistischen Denkhaltung. Niemand glaubt, dass sie schlicht ein leidenschaftliches intellektuelles Interesse am Thema hat, niemand denkt, dass sie eine philosophische Frage erörtern will und sich bemüht, die metaphysische Bedeutung der Liebe im Alltag zu verstehen. Nein, sie wird einfach wahrgenommen als eine, die auf dem Weg zu einer »verhängnisvollen Affäre« ist.

Enttäuschung und ein durchdringendes Gefühl der Trostlosigkeit brachten mich dazu, mich eingehender mit der Bedeutung der Liebe in unserer Kultur zu beschäftigen. Meine Sehnsucht nach Liebe bewirkte nicht, dass ich meinen Sinn für Vernunft oder jegliches Augenmaß verlor; ich verspürte einfach den Anreiz, mehr über die Liebe nachzudenken, darüber zu sprechen und populäre und wissenschaftliche Werke zum Thema zu lesen. Bei meiner Lektüre stellte ich überrascht fest, dass die große Mehrheit der besonders »geschätzten« Bücher, die als Referenzwerke gelten, und selbst die so populären Selbsthilferatgeber von Männern verfasst wurden. Mein Leben lang hatte ich geglaubt, Liebe sei ein Thema, über das Frauen mit größerer Intensität und mehr Eifer nachdenken als die männlichen Bewohner unseres Planeten. Das glaube ich immer noch, obwohl dem visionären weiblichen Denken zum...

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