Spätsommerfreundinnen

Spätsommerfreundinnen

von: Andrea Russo, Anne Barns

HarperCollins, 2020

ISBN: 9783749951130

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 2488 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Spätsommerfreundinnen



1. Kapitel

Wie heißt es so schön? Alle sieben Jahre ändert sich der Mensch. Kaum spukt der Gedanke in meinem Kopf herum, weiß ich, dass es der Philosoph Philon von Alexandria war, der unser Leben zum ersten Mal in Jahrsiebte geteilt hat. Ich schüttele unwillkürlich den Kopf und greife nach der Pinzette im Körbchen auf der Ablage vor dem Spiegel. Mein Gehirn macht, was es will. Es vergisst ständig die einfachsten Sachen. Aber ganz spezielle Dinge, die, die sonst keiner weiß, die merkt es sich. Und ich habe keine Ahnung, warum.

Philon also … Ich rücke ganz nah an den Kosmetikspiegel heran und kneife die Augen zusammen, um mich ganz genau betrachten zu können. In meinem Fall stimmt die Siebenjahresregel. Ich bin noch genau zwei Wochen neunundvierzig Jahre alt. In den letzten Monaten haben sich die widerspenstigen schwarzen Haare am Kinn verdoppelt. Und die weißen auf meinem Kopf auch. Meine Naturhaarfarbe ist dunkelblond. Der Friseur hilft seit Neuestem mit honigfarbenen Strähnchen und jeder Menge Highlights nach. Dazwischen fallen die weißen Haare kaum auf. Nur wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass sie sich mittlerweile über meinen ganzen Schopf verteilen. Genau wie die kleinen geplatzten Äderchen, die seit Neuestem um meine Nasenflügel herum und auf den Wangen aufgetaucht sind. Vielleicht hätte ich mir den Spiegel mit LED-Beleuchtung und fünfzehnfacher Vergrößerung doch nicht zulegen sollen, überlege ich. Darin erkennt man jede noch so kleine Falte.

Bei normalem Licht und eins zu eins betrachtet, sehe ich immer noch ganz passabel aus. Mal von der kleinen Tatsache abgesehen, dass meine Lieblingsjeans nicht mehr vernünftig sitzt. Als ich sie gekauft habe, hatte ich exakt das gleiche Gewicht und passte perfekt rein. Aber nun quillt der Speck an den Seiten unvorteilhaft über den Hosenbund. Low-waist steht mir nicht mehr. Ich habe mir neue Exemplare zugelegt, alle in mindestens mittlerer Leibhöhe. Dazu habe ich gleich ein paar Shaping-Hemdchen gekauft, sie allerdings noch nie getragen, da sie zwar den Speck weg, aber dafür auch meine Brüste platt wie Flundern drücken.

Was noch hinzukommt ist, dass ich seit Monaten immer häufiger grundlos schlechte Laune habe und gereizt bin. Ich quäle mich lustlos in die Schule und bin froh, wenn ich wieder nach Hause fahren darf. Der Lärm der Kinder macht mir zu schaffen. Im Gegensatz zu meinen Augen funktionieren meine Ohren anscheinend noch ganz gut.

Ich halte einen Moment inne und werfe der Frau im Spiegel einen strafenden Blick zu. Immerhin bin ich gesund und habe Arbeit. Das kann nicht jeder in meinem Alter von sich behaupten. Positiv denken, Jette! Ich ziehe meine Mundwinkel nach oben, sodass mein Gegenüber mich breit angrinst. Erst letztens habe ich gelesen, selbst ein unechtes Lächeln würde unserem Gehirn die Nachricht senden, dass wir glücklich sind.

Einen Moment bleibe ich einfach so stehen und strahle mich selbst an. Dabei komme ich mir so komisch vor, dass ich anfangen muss zu lachen. Meine Laune hat sich tatsächlich gebessert.

Ich nehme mir felsenfest vor, nun jeden Morgen mit einer Runde Gesichtsgymnastik zu beginnen und dass in den kommenden sieben Jahren nicht nur generell alles anders, sondern auch besser wird. Das ist letztendlich nur eine Frage der inneren Einstellung. Und an der kann ich arbeiten!

Erst einmal muss ich jedoch das schwarze Borstenhaar am Kinn erwischen. Aber das ist gar nicht so einfach.

»Mist, verdammter«, entfährt es mir, als ich ein paar Mal hintereinander Pech habe und abrutsche. Das blöde Ding ist noch zu kurz und sitzt außerdem bombenfest. Es dauert bestimmt noch zwei Tage, bis es lang genug ist, um es vernünftig greifen zu können.

»Guten Morgen.« Die helle Stimme meiner Tochter hält mich von einem weiteren Versuch einer Schönheits-OP ab. Jule kommt durch den Flur auf das Badezimmer zugelaufen.

»Morgen«, brumme ich.

Meine Tochter bleibt in der Tür stehen, und lächelt mich an. »So schlimm?«

»Ich werde alt«, antworte ich und lege die Pinzette zurück.

»Quatsch«, sagt meine Tochter. »Fünfzig ist das neue Dreißig.« Sie scannt mich von oben bis unten ab. »Na ja, das war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber vierzig würde passen. Du siehst noch total jung aus.« Sie stellt sich neben mich und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

»Danke, Schatz.« Unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Jule hat das volle, dunkelbraune Haar und die schlanke Statur ihres Vaters geerbt. Die grünen Augen und den geschwungenen Mund hat sie von mir. Sie hat zweifelsohne Glück gehabt und sich die jeweils besten Sachen ausgesucht. Auch wenn ich nicht Jules Mutter wäre, würde ich sie als schön bezeichnen. Mir wird warm ums Herz. Diesmal ist mein Lächeln echt. Und es fühlt sich verdammt gut an.

»Das mit dem jünger Aussehen habe ich übrigens von dir geerbt«, erklärt meine Tochter da. »Als ich am Freitag eine Flasche Wodka für die Cocktailparty bei Kim kaufen wollte, hat mich die Kassiererin um meinen Ausweis gebeten. Den hatte ich dummerweise in meiner Tasche. Und die lag im Auto.« Sie zieht eine Schnute und betrachtet sich im Spiegel. »Vielleicht hätte ich mir die Haare doch nicht abschneiden lassen sollen. Jeder sagt, dass ich viel jünger damit aussehe.«

»Irgendwann freust du dich darüber.« Jule ist zarte einundzwanzig Jahre alt. Ich streiche ihr über die Wange. »Die Kurzhaarfrisur steht dir ausgesprochen gut. Sie betont deine feinen Gesichtszüge.«

»Findest du? Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt.« Meine Tochter zuckt mit den Schultern. »Was soll’s, wächst ja wieder«, sagt sie, dann mustert sie mich ein weiteres Mal, diesmal grinsend. »Lässt du das an?«

Ich trage die leuchtend türkise Haremshose, die ich mir letztes Jahr für einen Wochenend-Meditationskurs zugelegt habe, und dazu ein senfgelbes Shirt. »Soll ich?«

»Warum nicht? Dann komme ich aber auf jeden Fall mit. Den Anblick von Papas Gesichtsausdruck lass ich mir nicht entgehen.«

»Das hättest du wohl gern«, antworte ich. Jule hat recht. Stefan würde Augen machen, wenn ich im Hippie-Look zu unserem Scheidungstermin erscheinen würde. Aber letztendlich wäre ich diejenige, die sich dabei unwohl fühlt. Und Stefan würde sich köstlich amüsieren, wenn er sich erst mal an den Anblick gewöhnt hätte. »Ich ziehe Jeans an«, entscheide ich, eine der neuen in körperfreundlicher Passform, »eine schlichte weiße Bluse und dazu meine braunen Römersandalen.«

»Schade! Bist du aufgeregt?«

»Nur ein bisschen.« Das ist maßlos untertrieben. Gestern Abend habe ich bestimmt eine Stunde lang vor dem Spiegel gestanden und mich etliche Male umgezogen. Wie erscheint man angemessen zu seinem Scheidungstermin? Im schicken Kostüm, Hosenanzug oder doch in einem Etuikleid? Nachdem ich alles anprobiert und mich letztendlich für mein Alltagsoutfit entschieden hatte, habe ich mir die Fußnägel lackiert – in einem knalligen Rot. Sozusagen als Signal dafür, dass es mir sehr gut geht und ich das Leben genieße – ohne Stefan. Die Farbe habe ich jedoch kurz darauf wieder entfernt. Das hatte allerdings zur Folge, dass ich nicht einschlafen konnte, da der Geruch des Lösungsmittels im Zimmer hing. Und weil mir Tausende Dinge durch den Kopf gingen.

Jules Blick geht zur Uhr, die auf dem Regal mit den Handtüchern steht. »Gleich neun. Soll ich nicht doch mitkommen?«

Ich schüttele den Kopf. »Kommt gar nicht in die Tüte. Du gehst schön brav zur Uni und lernst für deine Prüfung.«

»Na gut. Dann springe ich jetzt schnell unter die Dusche.«

»Mach das. Möchtest du was frühstücken?«

»Nur einen Kaffee. Ich beeil mich.«

Ich habe meine Tochter immer schon gerne verwöhnt. Sie ist auch als Schulkind nie ohne liebevoll belegtes Frühstücksbrot und etwas Obst oder Gemüse aus dem Haus gegangen. Und das handhabe ich noch immer so, wenn ich Zeit habe. Ich klappe gerade die prall gefüllte Frühstücksdose zu, als Jule in die Küche kommt.

»Hier, für dich.« Die pinkfarbene Plastikbox ist ein Relikt aus der Vergangenheit und bestimmt schon zehn Jahre alt.

»Danke.« Jule strahlt mich an, greift mit der einen Hand nach ihrem Frühstück und mit der anderen zum Wasserkocher. Unseren Kaffee bereiten wir ganz klassisch mit einem Porzellanfilter zu, seitdem unser Vollautomat vor vier Wochen plötzlich den Geist aufgegeben hat. Die frisch gemahlenen Bohnen habe ich eben schon einmal mit Wasser übergossen. Jule schüttet wieder etwas dazu und beobachtet, wie die dunkle Flüssigkeit in die Glaskanne darunter tropft.

»Eigentlich brauchen wir keine neue Maschine«, sagt sie. »Der handgefilterte ist total lecker. Und auch schnell gemacht.«

»Finde ich auch.« Ich hole zwei große Tassen und gieße aufgeschäumte Milch hinein, Jule füllt sie mit dem heißen Kaffee auf. Wir sind ein eingespieltes Team.

Kurz darauf stehen wir nebeneinander mit unseren Hintern an die Arbeitsplatte gelehnt. Ich nippe an meinem Milchkaffee, Jule rührt mit ihrem Löffel im Schaum.

»Bist du dir ganz sicher, dass ich nicht doch mitkommen soll?«, fragt sie noch einmal. »Der Kurs ist freiwillig, es herrscht keine Anwesenheitspflicht. Und ich hätte auch wirklich kein Problem damit.«

»Das ist lieb von dir, aber nein.« Ich schüttele rigoros den Kopf. »Das schaffen dein Vater und ich ganz alleine.« Bei dem Gedanken, dass Stefan und ich heute geschieden werden, wird mir etwas flau im Magen, aber das lasse ich mir nicht anmerken. »Es ist doch nur noch eine reine Formsache.«

»Na gut. Aber im Zweifelsfall bin...

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