Wohlstand für alle

Wohlstand für alle

von: Ludwig Erhard

Ullstein, 2020

ISBN: 9783843724432

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 7451 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Wohlstand für alle



WOHLSTAND FÜR ALLE – WAS DIESES VERSPRECHEN HEUTE BEDEUTET

Ein Vorwort
von Lars P. Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Einleitung

Der Titel dieses Buches ist heute noch Provokation, zumindest lädt er zu Missverständnissen ein. Provokation ist er für diejenigen, die mit Ludwig Erhard die Realpolitik seit der Währungsreform des Jahres 1948 verbinden, ihn als Protagonisten christdemokratischer, quasi regierungsamtlicher Wirtschaftspolitik sehen und dem programmatischen Wohlstand für Alle die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbesserungspotenziale der heutigen Zeit entgegenhalten – frei nach der Devise, der Wohlstand für alle sei eine Schimäre. Missverstehen würde man Erhard, wenn man ihn als Vertreter einer Sozialpolitik wahrnähme, der stärker umverteilen wolle, sodass die wirtschaftlich Schwächeren einen größeren Wohlstand erreichen können. Missverstehen würde man ihn außerdem, wenn man ihn als plumpen Ökonomisten einordnete, als jemanden, für den Wirtschaftswachstum das wichtigste aller Ziele sei.

Als Wohlstand für Alle im Jahr 1957 erschien, war die Erhard’sche Wirtschaftspolitik keine Provokation mehr. Erhard wurde vielmehr als Vater des deutschen Wirtschaftswunders und Begründer des deutschen Wirtschaftsmodells, der Sozialen Marktwirtschaft, gefeiert. Er hatte als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1948 die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark umgesetzt. Angesichts der Rolle, welche die amerikanische Besatzungsmacht bei der Einführung der neuen Währung spielte, rückt die eigentliche Leistung Erhards in den Mittelpunkt, nämlich die Verabschiedung des „Gesetzes über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“, des sogenannten Leitsätzegesetzes, mit dem die öffentliche Warenbewirtschaftung weitgehend beseitigt wurde. Dadurch konnten sich Marktpreise für eine Vielzahl von Produkten frei bilden. Von heute auf morgen konnten die Deutschen, die sich zuvor einer Mangelwirtschaft gegenübersahen, volle Schaufenster mit Waren bewundern. Die Preisfreigabe ohne Währungsreform hätte vermutlich nur Inflation zur Folge gehabt. Die Währungsreform ohne marktwirtschaftliche Preisbildung hätte die Mangelwirtschaft nicht beendet. Das Zusammentreffen beider Maßnahmen war entscheidend (Giersch et al. 1992).

Dabei setzte Erhard diese Reform gegen Widerstände aus den Reihen seiner Berater, nicht zuletzt aber gegen die amerikanische Besatzungsmacht durch. Regelmäßig wird eine Anekdote kolportiert, die Erhard dem Vernehmen nach selbst zum Besten gab (Sigler 2016). Als er sich wegen der weitgehenden Aufhebung der Warenbewirtschaftung gegen den Vorwurf des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay rechtfertigen musste, die Besatzungsvorschriften eigenmächtig abgeändert zu haben, soll Erhard geantwortet haben: „Herr General, ich habe die Vorschriften nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.“ Allerdings warnten Erhard nicht alle seine Berater vor der Preisfreigabe durch das Leitsätzegesetz. Dessen Referentenentwurf stammte von Leonhard Miksch, einem Schüler Walter Euckens (Berndt und Goldschmidt 2000, Feld und Köhler 2015). Liest man Mikschs Tagebuch (Goldschmidt 2015), so werden die Auseinandersetzungen in der Verwaltung für Wirtschaft plastisch, und es wird deutlich, wie Erhard sich im Rückgriff auf die marktwirtschaftlichen Überzeugungen der Freiburger Schule durchsetzen konnte. Zudem waren die Reformen anfangs kein Selbstläufer. Erhard sah sich einem Generalstreik gegenüber, den er überstand, ohne in der Hauptsache zurückweichen zu müssen. Bis ins Jahr 1957 war diese Episode verblasst.

Der entscheidende Beitrag der Erhard’schen Reform und zugleich wesentlicher Teil seiner weiteren Wirtschaftspolitik war der damit eingeleitete Übergang zu einer Wettbewerbswirtschaft. Erhard erschien dieser Übergang, ganz im Sinne der Freiburger Schule, als das Soziale an der Marktwirtschaft, als grundlegendes Element des sozialen Ausgleichs. Weil die Wettbewerbswirtschaft private Machtkonzentration zu verhindern vermag, schafft sie die Voraussetzungen für eine bessere Chancenverteilung in der Gesellschaft (Feld 2020). Anlässlich des 70. Geburtstags Friedrich A. von Hayeks soll Erhard in diesem Sinne gesagt haben, Hayek solle ihn nicht missverstehen. Als Wettbewerbswirtschaft brauche die Soziale Marktwirtschaft den Zusatz „sozial“ nicht, schließlich sei sie bereits an sich sozial. Erhards Einsatz für ein neues Wettbewerbsrecht, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das erst im Jahr 1957 – wiederum gegen massive Widerstände, dieses Mal der deutschen Industrie – verabschiedet wurde, darf daher nicht geringgeschätzt werden.

In der wirtschaftshistorischen Literatur wird darüber diskutiert, wie sehr die Erhard’sche Wirtschaftspolitik als Zäsur, als Bruch mit der Zeit des Nationalsozialismus verstanden werden kann (Ritschl 2005, Spoerer 2019). Es gab vielfältige Kontinuitäten in der Wirtschaftspolitik zu den Jahren zuvor, aber der Übergang zur Wettbewerbswirtschaft stellte einen eigentlichen Paradigmenwechsel dar (Spoerer 2019). Diese Diskussion ist nicht zu Ende – genauso wenig wie die Debatte um die Person Erhard (Herrmann 2019, Issing und Koerfer 2019). Mein Beitrag in diesem Vorwort dreht sich nicht um diese historischen oder gar um dogmengeschichtliche Fragen anhand einer Exegese des ursprünglichen Textes. Letzteres mögen die geneigten Leser dieser neuen Ausgabe selbst unternehmen. Mir geht es um eine Einordnung der Erhard’schen Anliegen in diesem Buch, indem Schlaglichter auf ausgesuchte Entwicklungen gerichtet werden und aus der heutigen Sicht deutlich wird, wie sich Ludwig Erhards wirtschaftspolitische Vorstellungen verstehen lassen. Diese Interpretation beansprucht keine Exklusivität, gleichwohl stellt sie aus meiner Sicht eine plausible Interpretation dar.

Die Wirtschaftsentwicklung

Ludwig Erhard war Marktwirtschaftler und Ordnungspolitiker. Aber er war genauso ein Kind seiner Zeit, das die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit und den Zweiten Weltkrieg mit seinen desaströsen Auswirkungen miterlebt hatte. Es kann daher nicht verwundern, dass Preisniveaustabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein hoher Beschäftigungsstand für Erhard als Voraussetzung für stetiges Wirtschaftswachstum wichtig waren. Diese vier Größen – bezüglich des Wirtschaftswachstums erweitert um das Attribut „angemessen“ – wurden ab dem Jahr 1967 als sogenanntes magisches Viereck dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als Prüfauftrag ins Gesetz geschrieben. In seinem Wohlstand für Alle greift Erhard in unterschiedlichen Kontexten auf Statistiken zurück, welche die wirtschaftliche Entwicklung in makroökonomischen Dimensionen seit der Währungsreform illustrieren. Man hat gelegentlich den Eindruck, dass es ihm in diesem Buch somit auch um eine Rechtfertigung seiner Entscheidungen geht.

Abbildung 1 stellt die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Zeitraum von 1870 bis 2016 dar. Die wesentlichen historischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts sind dabei genauso markiert wie zwei Rezessionen zu Beginn und zum Ende der Zeitperiode, nämlich der Gründerkrach und die Finanzkrise (oder Große Rezession). Die massiven Auswirkungen der beiden Weltkriege, der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise auf das BIP sind nicht zu übersehen. Sie überschatten alle anderen Ereignisse; selbst die bis zum Jahr 2020 als schwerste Krise der Nachkriegszeit angesehene Große Rezession erscheint nur als kleine Unterbrechung eines stetigen Anstiegs der Wirtschaftskraft.

Versteht man das programmatische Wohlstand für Alle als Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens, so zeigt sich die Wettbewerbswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland als durchaus erfolgreich. Trotz aller Schwankungen weist der Trend ungebrochen nach oben. Die Erhard’schen Weichenstellungen für die Wettbewerbswirtschaft scheinen richtig getroffen. Voraussetzung für diese Entwicklung ist der Erhalt des Friedens; dazu gehören aber außerdem die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die dafür gesorgt haben, dass weder Hyperinflation noch Massenarbeitslosigkeit wie zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise aufgetreten sind. Dafür hat Erhard keine Meriten erworben, sind es doch die nach ihm kommenden Wirtschaftspolitiker, die ihren Teil dazu beigetragen haben.

Abbildung 1: Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts von 1870 bis 2016

Erhard irrt jedoch in seiner gleich zu Beginn des Buches geäußerten Hoffnung, der Konjunkturzyklus möge überwunden werden. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung des BIP mit den vom Sachverständigenrat vorgenommenen Datierungen der Rezessionsphasen. Dies ist bis zum aktuellen Rand gezogen, schließt also die Corona-Krise mit ein, ohne dass diese schon offiziell als Rezession datiert wäre, obwohl sie natürlich eine Rezessionsphase darstellt. Man erkennt die mehr oder weniger starken Schwankungen im Zeitablauf, zugleich aber die unregelmäßige Wiederkehr von wirtschaftlichen Schwächephasen. Die Ursachen für diese Schwankungen sind vielfältig, ob es sich um die beiden Ölpreisschocks der 1970er- und 1980er-Jahre, die Wiedervereinigung, die Finanzkrise oder die Corona-Krise handelt.

Die Wirtschaftspolitik ist unterschiedlich erfolgreich mit diesen Krisen umgegangen. In Abkehr von Erhard’schen Vorstellungen setzte Karl Schiller in Reaktion auf die Rezession von 1966/67 auf...

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