Der Kommissar und der Teufel von Port Blanc - Philippe Lagarde ermittelt

Der Kommissar und der Teufel von Port Blanc - Philippe Lagarde ermittelt

von: Maria Dries

Aufbau Verlag, 2020

ISBN: 9783841225498

Sprache: Deutsch

352 Seiten, Download: 2937 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Kommissar und der Teufel von Port Blanc - Philippe Lagarde ermittelt



Erster Tag
Die Abbaye de Beauport


Das Ehepaar Jean-Charles und Laurence Le Gal wohnte in einer Fischerkate am nördlichen Rand von Paimpol in der Nähe der kleinen Straße, die zu der Arcouest-Landzunge führte. Dort legten die Schiffe ab, die die Inselgruppe Bréhat ansteuern wollten. Obwohl man leicht dorthin gelangte, barg das umgebende Meer einige Gefahren.

Das geduckte Reetdachhaus aus grauem Granitstein mit massigen Kaminzügen, die den First überragten, hatte leuchtend grüne Türen und Fenster. Der Vorgarten glich einem Pflanzenparadies, in dem die bretonische Nationalpflanze, die Hortensie, dominierte. Eine alte knorrige Tamariske, deren Rispenzweige vom stürmischen Westwind durchgeschüttelt wurden, erhob sich im Garten.

Jean-Charles war zweiundsechzig Jahre alt und hatte, solange er denken konnte, sein Brot mit der Küstenfischerei verdient. Er war klein, dürr und zäh, sein Gesicht vom Wetter gegerbt, und die grauen Haare begannen sich zu lichten. Vor einem Jahr hatte er sich aufgrund gesundheitlicher Probleme entschieden, in den Ruhestand zu gehen, fuhr jedoch fast jeden Tag mit seinem Boot aufs Meer hinaus, um zu angeln. Er liebte die raue See, den Geruch nach Fisch und Tang, die Weite und die Einsamkeit. Sein Leben verlief im Rhythmus der Gezeiten.

Laurence war früher in der ortsansässigen Fischfabrik beschäftigt gewesen und hatte sich nach dem dritten Kind entschlossen, ausschließlich Hausfrau und Mutter zu sein. In dieser Aufgabe war sie aufgegangen. Inzwischen waren die Kinder aus dem Haus, und sie beschäftigte sich mit Kochen, Backen, der Gartenarbeit und strickte Pullover für ihren Mann und die Enkelkinder. Sie war engagiertes Mitglied im örtlichen Kirchenchor und versäumte nie eine Probe. Im Gegensatz zu ihrem Mann war sie korpulent und mit den Jahren behäbig geworden. Sie hatte ein freundliches Gesicht mit rosigen runden Wangen und trug die Haare zu einem Dutt hochgesteckt.

An diesem nebligen Novembermorgen hatte sie eine Kittelschürze übergezogen, den Holzofen angeschürt und den Hund in den Garten gelassen. Hugo, ein verspielter Riesenschnauzer, hatte sich über das Trockenfutter hergemacht und lag jetzt zufrieden in seinem Korb neben dem Ofen und döste, während Laurence das Frühstück zubereitete.

Sie saß mit Jean-Charles am Küchentisch, aß die dritte Crêpe, dick bestrichen mit gesalzener Karamellcreme, crème de caramel au beurre salé, und sah dabei stirnrunzelnd aus dem Fenster, an dessen Scheibe unablässig Wasserschlieren hinabflossen. Im Garten peitschte der Wind die Regentropfen fast waagrecht vor sich her.

»Willst du bei diesem Wetter wirklich zur Abbaye hinausfahren?«, fragte sie ihren Mann.

»Aber ja«, antwortete er. »Ich bin mit Michel und Paul in der Bar-Tabac am Fischerhafen verabredet.« Er warf einen Blick auf die Küchenuhr. »In einer halben Stunde treffen wir uns. Ich trinke noch einen café au lait, dann muss ich los.«

Vor einigen Monaten hatte sich in Paimpol ein Verein zur Sanierung und Unterhaltung der Abbaye de Beauport gegründet. Federführend war Michel, ein Architekt im Ruhestand, der historische Monumente liebte und sich für ihren Erhalt einsetzte. Inzwischen war es ihm gelungen, eine stattliche Summe an Fördergeldern zu akquirieren, so dass die Restaurierungsarbeiten beginnen konnten. Das denkmalgeschützte Gebäude beherbergte Ausstellungen und war eine faszinierende Naturbühne für Theateraufführungen, Konzerte und artistische Darbietungen. Wenn es in der Adventszeit weihnachtlich geschmückt war, wähnte man sich in einer Märchenkulisse. Michel hatte Jean-Charles für das Projekt begeistern können, ebenso Paul, einen selbstständigen Maurermeister. Die drei Männer waren Gründungsmitglieder des Vereins gewesen, und etliche engagierte Bürger hatten sich ihnen angeschlossen. Die örtliche Presse war ganz auf ihrer Seite und veröffentlichte regelmäßig Zeitungsartikel mit Fotos.

Der Fischer erhob sich.

»Bis heute Nachmittag, ma chérie, mal sehen, was wir bei diesem Wetter ausrichten können.«

»Soll ich dir belegte Baguettes und eine Thermoskanne Tee machen?«

Er überlegte kurz. »Nein danke, im Weiler Kérity gibt es ein hübsches Bistro, vielleicht essen wir dort zu Mittag eine Kleinigkeit.«

Jean-Charles stieß einen leisen Pfiff aus und forderte Hugo auf, ihn zu begleiten. »Auf geht’s, mein Großer.«

Der wasserscheue Schnauzer sah kurz auf, warf einen Blick aus dem Fenster, gähnte, legte den Kopf auf die Pfoten und schloss die Augen.

»D’accord, dann eben nicht.«

»Vergiss dein Regencape nicht«, ermahnte Laurence ihn.

Jean-Charles legte die Strecke zum Fischerhafen mit seinem altersschwachen flaschengrünen Peugeot in wenigen Minuten zurück. Die Scheibenwischer kämpften gegen die Regenflut. Er fuhr an seinem Boot »Laurence III« vorbei, das am Anleger vertäut war und auf dem unruhigen Wasser schaukelte. An der Kaimauer spritzte Gischt hoch.

Gleich neben der Bar-Tabac »Chez Claudette« fand er einen Parkplatz. Er zog die Kapuze über den Kopf und lief los. Die Markise des Lokals war aufgerollt, und die Bistrotische und Stühle, die normalerweise auf dem Platz verteilt standen, waren verschwunden. Claudette hatte sich auf die kalte stürmische Jahreszeit eingestellt.

Angenehme Wärme schlug ihm entgegen, als er die Bar betrat, seine Brille beschlug, und er nahm sie ab. Alle Barhocker am ausladenden Mahagonitresen waren besetzt. Stimmengewirr drang durch den Raum, vereinzelt war Lachen zu hören. Claudette, eine resolute vollschlanke Frau um die fünfzig, die am liebsten kurze Röcke trug, winkte ihm zu. Gerade war sie damit beschäftigt, Bier zu zapfen. Jean-Charles fand seine Freunde im hinteren Teil des Lokals, wo sie an einem Bistrotisch neben dem Zeitungsständer saßen. Beide hatten ein Wasserglas mit Rotwein vor sich stehen. Am Nebentisch saßen drei Männer und eine Frau, die lautstark diskutierten. Es ging um die geplante Rentenkürzung der Regierung Macron, und die Gemüter waren erhitzt. Man rechnete mit landesweiten Streiks bis Weihnachten und womöglich darüber hinaus, zu Recht, da waren sich alle einig.

Der Fischer begrüßte Michel und Paul und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Claudette brachte ihm unaufgefordert ein Achtel Rotwein, den er immer um diese Zeit trank. Dazu servierte sie einen Korb mit gerösteten Baguettescheiben und eine Schale mit Ziegenkäsecreme und schwarzen Oliven.

»Ein schlechteres Wetter hättet ihr euch nicht aussuchen können«, meinte Paul. Der Maurermeister war groß, stämmig und trug einen gepflegten Schnauzbart. Auf seinem Kopf saß schief eine Baskenmütze.

»Wir machen uns nur ein Bild vor Ort, jetzt, wo wir endlich Fördermittel bekommen haben«, erwiderte Michel, ein schlanker Mann mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren, dessen Augen vor Tatendrang glänzten. »Das weitere Vorgehen will akribisch geplant sein. Wie ihr wisst, muss für jeden staatlichen Cent ein Verwendungsnachweis vorgelegt werden.«

»Es ist schon in Ordnung, Michel. Durch meinen Beruf bin ich häufig bei Wind und Wetter draußen, das macht mir nichts aus.«

»Mir auch nicht«, fügte Jean-Charles mit einem Lächeln hinzu. »Ich freue mich, dass es endlich losgehen kann.«

Nachdem sie ausgetrunken und sich von Claudette verabschiedet hatten, fuhren sie mit Pauls Kastenwagen über die Küstenstraße drei Kilometer in südlicher Richtung nach Kérity. Sie durchquerten den winzigen Ort, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein schien, fuhren ein Stück auf einem Schotterweg durch einen Buchenwald und erreichten schließlich den Parkplatz der Abtei. Dort stand kein einziges Fahrzeug, da die Klosteranlage wegen Ruhetag geschlossen war und aufgrund des schlechten Wetters sowieso keine Besucher unterwegs waren. Die Vereinsmitglieder hatten die Erlaubnis, mit einem Fahrzeug auf das Areal zu fahren. Nach wenigen Metern erreichten sie einen der Eingänge der Anlage, einen breiten Mauerdurchlass, der mit kompakten Pfeilern abgeschlossen war. Davor stand ein überdachter mittelalterlicher Brunnen, an dessen Querbalken ein Eimer mit einer rostigen Kette befestigt war. Wenn man einen Stein hineinwarf, dauerte es mehrere Sekunden bis zum Aufprall.

Vor ihnen lag der zur Landseite hin ausgerichtete Garten mit verstreut platzierten Buchsbaumkugeln, dahinter erhob sich majestätisch das sakrale Bauwerk. In seiner Mitte gruppierten sich die Klostergebäude mit dem Kapitelsaal, dem Refektorium, dem Vorratskeller und der Pilgerherberge. Rechter Hand stand die Kirchenruine, die durch den Kreuzgang mit dem ersten Empfangssaal verbunden wurde. Links neben dem Haupthaus befand sich der ehemalige Kräuter- und Gemüsegarten, dahinter der Friedhof. Die beiden offenen Portale der Kirchenruine gaben den Blick auf die Meerseite der Abtei frei. Dort lag der Apfelgarten, und an der Einfriedungsmauer wuchsen Hortensienbüsche dicht an dicht. Jenseits der Mauer breitete sich die bleigraue, schäumende See aus, deren Wogen an die Felsen am Ufer klatschten. Der Strand war menschenleer, nicht einmal ein Spaziergänger mit seinem Hund war unterwegs. Strandhafer bog sich im Wind, und ein Segelschiff nahm Kurs auf die Küste. Über die Szenerie zogen schwarze Wolken, am Himmel kreischten Möwen.

Paul stellte sein Auto vor dem westlichen Eingang des Kreuzganges ab. Die Männer stiegen aus und suchten schnell Zuflucht unter einem steinernen Bogen. Dieser Teil des Kreuzganges bestand aus mehreren zweistöckigen Bogenkonstruktionen, die durch filigran anmutende Säulen gestützt wurden. Verbunden waren sie...

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