Fräulein Draußen - Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand

Fräulein Draußen - Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand

von: Kathrin Heckmann

Ullstein, 2020

ISBN: 9783843722667

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 9750 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Fräulein Draußen - Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand



Kapitel 1

DER RUF DER EULE

Ich weiß nicht mehr, ob ich langsam aus dem Schlaf erwacht oder doch nie richtig eingeschlafen war. Letzteres wäre gut möglich gewesen, denn meine günstig erstandene Isomatte war für passionierte Seitenschläfer wie mich nur bedingt geeignet, und meine Hüftknochen waren bereits mit schmerzhaften Druckstellen übersät. Jeder seitenschlafende Mensch, der schon mal in einem Zelt genächtigt hat, kennt ihn wohl, diesen Schmerz. Und die endlosen Diskussionen mit sich selbst darüber, ob man denn nicht auch einfach Rückenschläfer sein oder sich zumindest auf den Bauch drehen könne, so wie andere Menschen es ja auch ohne Probleme tun. Aber wenn man es dann versucht, stellt man ziemlich schnell fest, dass man in Sachen Schlafposition einfach keine Wahl hat. Man ist und bleibt, wer man nun mal ist. Also rollt man sich, geplagt von Hüftschmerzen und Müdigkeit, wieder auf die Seite – aber immerhin auf diejenige, auf der die Druckschmerzen etwas weniger schlimm sind, weil man letzte Nacht auf der anderen geschlafen hat. Und hofft, dass die Erschöpfung den Kampf schnell gewinnt und einen zumindest bis zum ersten Morgengrauen halbwegs in Ruhe schlafen lässt.

Meine Freundin und Reisebegleitung Marie lag neben mir und sah schon wieder bestens erholt aus. Sie schlief jede Nacht tief und fest, denn sie besaß eine dieser gelben, fröhlich vor sich hin knisternden Hightech-Isomatten, die sich wohl jeder seitenschlafende Mensch irgendwann in seinem Leben zulegt, wenn er vorhat, öfter mal im Zelt zu nächtigen. Heute, rund sieben Jahre nach dieser Reise, besitze ich schon die zweite davon, und dazu noch eine wärmere Variante, die auch für Minusgrade geeignet ist. Aber damals wusste ich es noch nicht besser, denn um die eigene Schlafposition macht man sich eben normalerweise nur relativ wenige Gedanken.

Ich hatte mir jedenfalls bis dahin wenig den Kopf darüber zerbrochen. Und im Zelt geschlafen hatte ich auch erst ein paarmal, während einiger Campingplatz-Urlaube und dem einen obligatorischen Festivalbesuch. Ich war damals 23 Jahre alt, hatte gerade die Uni beendet, und es war meine erste große Reise. Das erste Mal ganz weit weg von allem, was ich bisher kannte oder zu kennen geglaubt hatte. Das erste Mal eine richtig große Reisetasche packen, in einen richtig großen Flieger steigen und richtig lange fliegen – mit unglaublicher Aufregung im Gepäck. Und nur kurze Zeit später lag ich in einem Nationalpark im Südwesten der USA die halbe Nacht wach, weil ich mich einfach nicht mehr entscheiden konnte, welche der beiden Hüften weniger wehtat. Und dann hörte ich es.

»Huh.«

Mit einem Mal war der Schmerz in meinen Hüftknochen so weit weg, wie er nur sein konnte.

»Huh.«

Ich lag ganz still, den Blick starr an die Zeltdecke gerichtet, weil man in Momenten, in denen man unbedingt etwas ganz genau hören möchte, aus irgendeinem seltsamen Grund noch nicht einmal wagt, die Augen zu bewegen.

»Huh.«

Zweifelsfrei. Da draußen war eine Eule, direkt neben dem Zelt, das Marie und ich mitten in der wüstenartigen Einöde des Bundesstaates Utah aufgestellt hatten – und ich war plötzlich ziemlich aufgeregt.

»Huh.«

Langsam setzte ich mich auf und war zum ersten Mal froh darüber, dass ich keine dieser besagten Isomatten hatte, die bei jeder Bewegung laut knisterten. Ich fuhr mit der Hand den Reißverschluss entlang, bis ich den kleinen Schieber ertastete, und zog ihn langsam auf, Zahn für Zahn, in der Hoffnung, gleichzeitig leise und doch schnell genug zu sein, um einen Blick auf das fremde, aber gleichzeitig seltsam vertraute Wesen zu erhaschen. Doch als der Spalt in der Zelttür groß genug war, konnte ich gerade noch den dunklen, geflügelten Schatten sehen, der sich von dem knorrigen Bäumchen neben unserem Zelt erhob. Er schwebte genauso lautlos wie farblos in die Nacht davon und ließ mich gleichermaßen verzaubert wie enttäuscht zurück. Die Eule war direkt neben mir gewesen, nur durch eine dünne Zeltplane von mir und meinem Blick getrennt, und nun war sie fort.

»Huh.«

Oder doch nicht?

»Huh.«

Ein bisschen weiter entfernt war sie auf jeden Fall, vermutlich saß sie in einer der Kiefern am Ende unseres Zeltplatzes. Ich schälte mich aus dem Schlafsack, streifte meine dicke Fleecejacke über und schlüpfte in die Sandalen, die sorgsam und bereits in die richtige Richtung gedreht vor dem Zelt platziert waren. Draußen war es fast heller als innen im Zelt. Es war Vollmond, oder zumindest nah dran, und die Luft zwischen mir und dem Nachthimmel war klar wie Glas. In Utah gibt es einige der dunkelsten Orte in den gesamten Vereinigten Staaten, aber nun mussten sich meine Augen eher an das Licht als an die Schwärze gewöhnen. Ich sah mich um, um mich zu orientieren, und das Mondlicht reflektierte aus jeder Richtung so hell, dass ich fast schon die Farben meiner Umgebung erkennen konnte. Das von der Sonne schon ganz ausgeblichene Gelb der Nylon-Außenschicht unseres Zeltes, die dunkelgrün angepinselte und gegen Tiereinbrüche gesicherte Mülltonne, unsere viel zu kleinen, hellblauen Campingstühle, die eigentlich für Kinder gemacht waren und von denen wir bei Walmart noch dachten, dass sie einfach nur ein besonders gutes Schnäppchen gewesen waren. Und natürlich der sanft rötlich rostbraune Sandstein, der sich durch den Arches Nationalpark zog wie die steingewordenen Überreste eines Dinosaurier-Friedhofs.

Eulen haben von Dingen wie Hellblau oder Rostbraun relativ wenig Ahnung, denn in Sachen Farbsehen sind sie, zumindest diejenigen Arten, die nachtaktiv sind, schlechter dran als Menschen. Während ihre tagaktiven Verwandten genauso wie wir auf eine Vielzahl von farbsehenden Zapfen setzen können, haben nachtaktive Eulen deutlich mehr der lichtempfindlichen Stäbchen in ihren Augen. Diese sind dazu noch überproportional groß, bei Menschen entspräche das Augen in der Größe von Äpfeln. Der Mangel an Zapfen macht Eulen zwar weniger empfänglich für Dinge wie gelbe Zelte und rote Steine, aber dafür sehen sie auch in den dunkelsten Utah-Nächten noch die unselige Maus, die irgendwo da unten auf dem Sandstein, zwischen Felsblöcken und Wacholderbüschen, emsig ihrem nächtlichen Treiben nachgeht – und ein paar Augenblicke später vielleicht schon nicht mehr.

»Huh.«

Ich versuchte, tunlichst nicht über die Zeltschnüre zu stolpern, als ich vorsichtig um das Zelt herum und in Richtung der Bäume schlich, in denen ich meine Eule vermutete. Ich wusste nicht genau, wieso ich das tat, und dachte in diesem Moment auch gar nicht erst darüber nach. Vielleicht war es die pure Abenteuerlust, die auf dieser Reise zum ersten Mal so richtig in mir erwacht war und die mich nun antrieb, mitten in der Nacht mein Zelt zu verlassen und in Sandalen einer Eule hinterherzulaufen, die höchstwahrscheinlich gar nichts von mir wissen wollte. Und ich wusste nichts über sie, hatte außer im heimischen Wildtierpark, in dessen Nähe ich aufgewachsen war, niemals eine Eule gesehen. Hatte vielleicht manchmal irgendwo eine gehört, mir dann gedacht: Oh, eine Eule, oder wahrscheinlich noch nicht mal das, und mich dann nicht weiter mit ihr beschäftigt. Vermutlich hatte ich sogar schon viel mehr Eulen gehört, denn, und das weiß ich heute: Längst nicht alle Eulen geben das berühmte »Huh« der Waldohreule oder das »Hu-huhuhuhu-huuu« des Waldkauzes von sich, die Laute der beiden häufigsten Arten in unseren Breitengraden, die quasi in jedem Horrorfilm oder Krimi irgendwo als Soundeffekt zu hören sind. Da gibt es zum Beispiel noch das fauchende bis schrill-kreischende »Schriiiiii« der Schleiereule, welches bei mir deutlich mehr Gänsehaut zu verursachen vermag, als es ein Gruselfilm mit mittelmäßigem Waldkauz-Effekt je könnte. Dagegen war der dumpfe Klang meiner Eule wunderschön, beruhigend, fast schon meditativ, geheimnisvoll, wohlwollend. Es war ein Ruf, dem ich gerne folgte, auch wenn es mitten in der Nacht war, in einem fremden Land, auf einem fremden Kontinent und ich lediglich Sandalen an den vom Tag noch staubigen Füßen trug, die nicht unbedingt den besten Schutz gegen Skorpionstacheln oder Schlangenzähne boten.

Auf halbem Weg zwischen Zelt und Eule hielt ich inne. Ich wollte das Tier nicht stören, die Mäuse und andere potenzielle Beutetiere nicht verjagen, nach denen sie vielleicht Ausschau hielt. Ich wollte ihre nächtliche Welt nicht durcheinanderbringen, wollte lediglich mal einen Blick hineinwerfen, einfach mal gucken, wie es dort so war und ob das vielleicht auch etwas für mich wäre. Ich setzte mich auf einen Stein und wartete auf den nächsten Ruf, der bis jetzt fast wie ein Uhrwerk in regelmäßigen Abständen ertönt war. Ab hier war der Boden mit allerlei scharfkantigem und stachligem Gestrüpp übersät. Ein einzelner großer Wacholderstrauch ragte darüber hinaus und stand genau zwischen mir und dem Mond, die schattigen Enden seiner Äste zugegebenermaßen etwas bedrohlich in meine Richtung gestreckt.

»Huh.«

Irgendwie hatte meine Eule es geschafft, von meinen Augen und Ohren gänzlich unbemerkt den Baum zu wechseln, und rief nun aus einer ganz anderen Richtung zu mir herüber. Eulen fliegen lautlos, zumindest für unsere Ohren. Und meine Wüsteneule war da keine Ausnahme. Diese Tatsache ist ungleich faszinierender, wenn man einmal bewusst darauf achtet, wie laut andere Vögel fliegen. Auf das »Flapp-Flapp-Flapp« von Tauben. Auf das Pfeifen, wenn sich Krähen im schnellen Flug ihren Weg durch die Luftschichten schneiden. Eulen hingegen sind trotz ihrer teils erheblichen Größe völlig still,...

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