Die Perlenfarm - Roman

Die Perlenfarm - Roman

von: Liza Marklund

Ullstein, 2020

ISBN: 9783843722407

Sprache: Deutsch

448 Seiten, Download: 2865 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Perlenfarm - Roman



Rarotonga


Der Hafen von Rarotonga, es war ein Mittwoch. Dass mir niemand, nicht einmal der Seemann John, Beachtung schenkte, als ich an Land ging, erfüllte mich mit einem vagen Gefühl von Enttäuschung. Hier wurde kein Freudenfest veranstaltet, wenn das Schiff eintraf, niemand feierte und tanzte.

Während die Ladung gelöscht wurde, stand ich in einer gewissen Entfernung am Kai und wartete. Eine gute Stunde später kam Onkel Matini in seinem gelben Auto mit der kleinen Ladefläche aufs Hafengelände gefahren. Er war ziemlich alt und unheimlich dick geworden und hatte es eilig. Mama Evelyns Koffer warf er auf die Ladefläche, die Schultasche nahm ich auf den Schoß. Ich war noch nie in einem Auto mitgefahren. Es war so ähnlich wie Mopedfahren, nur langweiliger. Er setzte mich vor seinem Haus in Matavera ab und fuhr zurück zu seiner Firma am Flughafen.

Das Haus war still und groß. Da Tante Ama bei ihrem Bruder in Wellington und Vaiana mit einer Tanzgruppe auf Reisen war, war ich allein. Ich packte meinen Proviant aus und verstaute ihn im Vorratsschrank, ich weiß noch, dass ich ein bisschen taro aß.

Dann steckte ich Eriks Geld, meine eigene und die Geburtsurkunden der Kinder, ein uto und eine Sternfrucht in meine Schultasche und ging nach Avarua. Es war ein ziemlich weiter Weg, ich brauchte fast eine Stunde. Beim High Commissioner Neuseelands beantragte ich einen Pass. Nach all den Tagen auf dem Schiff schwankte der Boden unter meinen Füßen sogar, als ich auf einem Stuhl saß und darauf wartete, dass der Beamte alle Papiere ausfüllte. Für das Passbild musste ich mich in einen Schrank zwängen und in einen Spiegel schauen, der Beamte drückte für mich auf den Auslöser, und dann blitzte es (um ehrlich zu sein, sah ich auf dem Bild ziemlich müde und schlecht gelaunt aus). Ich war zum ersten Mal fotografiert worden.

Avarua hatte mehr Häuser, war aber von der Fläche her kaum größer als Tauhunu. Es war interessant, durch die Stadt zu spazieren. Hier gab es all die Orte und Dinge, von denen ich mein Leben lang gehört hatte, abstrakte Begriffe, die nun konkrete und physische Formen annahmen. CITC, die Cook Island Trading Corporation, wo Papa Tane über Funk alles bestellte, was uns dann mit dem Schiff nach Manihiki geliefert wurde. Hier gab es mitten in der Stadt einen großen CICT-Supermarkt, wo man zwischen den Waren herumlaufen und sich in Ruhe aussuchen konnte, was man haben wollte, ohne es vorher bestellen zu müssen.

Ein Stück vom CITC-Supermarkt entfernt entdeckte ich die ARB, die Bank, auf der alle in der Familie Matavera ihr Geld hatten (die Abkürzung stand für Avarua Rarotonga Bank). Wegen der Klimaanlage war es eiskalt dort drinnen, ich bekam an den Armen Gänsehaut. Ich hatte oft zugehört, wenn Erik den Perlfarmern erklärte, wie man neue Konten eröffnet, und machte es, als ich der Bankangestellten hinter dem Schreibtisch gegenübersaß, genauso. Ich eröffnete zwei Konten, eins für Johan und eins für Iva, und dann hob ich die Schultasche vom Boden auf und zahlte auf jedes Konto hunderttausend Dollar ein. Zwanzigtausend Dollar ließ ich in der Tasche.

Die Bankangestellte wollte wissen, wo das Geld herkam.

»Manihiki«, sagte ich. »Schwarze Perlenfarm.«

Da sagte sie nichts mehr, sondern zählte nur die Scheine und gab mir zwei Einzahlquittungen.

Draußen in der Sonne war mir auf einmal viel leichter zumute, nicht zuletzt, weil das Geld ziemlich schwer gewesen war.

Nicht weit von der Bank entfernt lag der Dive Shop, der Laden, bei dem Papa Tane Schnorchel, Taucherbrillen und die Gummibänder für die Harpunengewehre bestellte. Das Schaufenster war mit moderner Surferkleidung dekoriert, wie ich sie in Woman’s Weekly gesehen hatte. Ich hatte eigentlich nicht hineingehen wollen, aber irgendetwas veranlasste mich dazu, vor der geöffneten Tür stehen zu bleiben. Kühle Luft aus einer Klimaanlage strömte heraus und kroch an meinen Beinen hoch. Hinter dem Tresen im dunklen Laden stand ein blonder Mann und sortierte Ware in einen großen Karton. Ohne zu wissen, warum, atmete ich plötzlich schneller. Erst nach einigen Sekunden erkannte ich die Melodie, die leise im Hintergrund lief. Zusammen mit der Kälte drang Musik aus dem Laden, prallte auf die Hitze von der Sonne und dem glühenden Asphalt und löste sich auf wie Nebelschwaden. Obwohl ich die Worte nicht verstand, wusste ich sie auswendig.

Wenn du ein Meer wärst, wär ich eine Welle
Wenn du der Himmel wärst, hätte ich Flügel
Wenn du ein Regen wärst, wär ich Meer und Land
Wenn du Musik wärst, wär ich ein Lied
Wenn du eine Ebene wärst, wär ich der Wind
Aber ich wäre nichts, wenn es dich nicht gäbe

Komm, meine Geliebte, der Mond ist groß
Alle Fenster sind offen heut Nacht
Offen für die Welt, in der die Liebe wohnt
Komm einfach her und halt mich heut Nacht wach
Wir sind noch da, du und ich
Wir sind die Zeit, die vergeht
Wenn der Morgen kommt, tun wir’s noch mal

Ich hatte den Song noch nie mit instrumentaler Begleitung gehört, sie klang ein wenig scheppernd, und die Basstrommel war zu dominant. Der Gesang klang heiser und flehentlich.

Der Mann hinter dem Tresen hatte mich bemerkt und hob den Kopf.

»Kann ich dir helfen?« Er sprach die Worte genauso aus wie Erik, hatte die gleiche Satzmelodie, den gleichen Akzent. Er war Schwede.

Ich drehte mich um und ging weg.

Wenn in Rarotonga Schweden arbeiten und Läden betreiben konnten, konnte ich überall leben. Ich bin zwar nicht der Typ, der nach Omen Ausschau hält, aber in dem Moment war ich vollkommen überzeugt, dass ich das Richtige tat.

Mittlerweile war es später Nachmittag. Ich ging in ein Reisebüro, wartete ziemlich lange, bis ich an der Reihe war, und sagte der Frau hinter dem Tresen, ich wolle ein Flugticket nach London kaufen. Das war nicht möglich, erfuhr ich, man musste in Los Angeles umsteigen, für einen Direktflug war es nach Großbritannien zu weit. Weil die Flüge so ausgebucht waren, hätte ich in Los Angeles fünf Tage Aufenthalt. Ich bräuchte ein Hotel, weil man ohne Adresse in den USA nicht ins Land gelassen wurde.

»Gibt es auch billige?«, fragte ich, denn ich hatte zwar zwanzigtausend US-Dollar in der Tasche, wusste aber nicht, wie lange ich damit auskommen musste.

Die Frau hinter dem Tresen sah seufzend auf ihre Armbanduhr.

»Wir schließen jetzt«, sagte sie. »Sie müssen morgen wiederkommen, um ein Hotel zu buchen.«

Am Abend war ich so müde, dass ich einschlief, bevor Onkel Matini nach Hause kam. Als er mich am nächsten Morgen weckte, machte er mir unmissverständlich klar, dass ich fürs Kochen zuständig sei, solange ich bei ihm wohnte. Ich entschuldigte mich und gelobte Besserung.

Von da an stand das Essen also auf dem Tisch, wenn Onkel Matini abends aus seiner Firma kam (meine Kochkünste beeindruckten ihn jedoch nicht sonderlich). Wenn es stockdunkel geworden war, kamen Männer, die ich nicht kannte, bis an die Veranda und sprachen mit ihm über Fische und Harpunengewehre, aber auch über Menschen, von denen ich noch nie gehört hatte, über Steuersätze, die Infrastruktur und die medizinische Versorgung (einige Leute auf Manihiki raunten sich zu, Onkel Matini habe politische Ambitionen). An manchen Abenden schickte er mich ins Haus und sagte, ich solle Türen und Fenster schließen, obwohl es dort drinnen unangenehm warm und stickig war, ihre Stimmen hörte ich durch die Mauern trotzdem.

In einem Bücherregal aus dunklem Holz gab es massenweise Bücher. Ich ließ meine Handfläche über die Buchrücken gleiten und wunderte mich: dass es so viele Geschichten auf der Welt gab. Ich las fast jeden Abend eine. Am meisten beeindruckte mich ein Buch von Andrew Morton über Prinzessin Diana. Sie wurde darin als eine zutiefst unglückliche Frau beschrieben, krank und einsam, von Reportern verfolgt, vom Hof gedemütigt und von ihrem Mann betrogen. Sie hatte sogar versucht, sich das Leben zu nehmen. Alles zu haben, war nicht genug.

Rarotonga war in vielerlei Hinsicht anders als Manihiki, aber nicht so anders, wie ich erwartet hatte. Die Insel war natürlich größer, es war eine Vulkaninsel und kein Atoll. Die Spitze des toten Vulkans erhob sich siebenhundert Meter über den Meeresspiegel, der höchste Punkt auf Manihiki war vier Meter hoch. Ich lieh mir Vaianas Fahrrad aus und radelte auf der Insel herum, zuerst auf dem tausend Jahre alten Wanderweg quer über die Insel und dann auf der Küstenstraße, die auf Drängen der Missionare gebaut worden war. Kam an Ngatangiia und Muri Beach vorbei und machte vor der Residenz, in der der Repräsentant der Königin wohnte, halt und ruhte mich ein wenig aus. Die Residenz lag ziemlich einsam auf der Südseite der Insel und versteckte sich hinter geschlossenen Toren mit einem hübschen Schild zur Straße hin. Onkel Matini und Tante Ama und Vaiana waren mal dort gewesen, ich glaube, anlässlich einer Kindstaufe. Ich trank ein wenig Wasser aus einer Plastikflasche und fuhr dann weiter und an Takituma und Vaimaanga vorbei. Es war heiß. Die Feuchtigkeit aus dem Regenwald floss in unzähligen Bächen den Berg herunter, der Ozean donnerte gegen den...

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