Rosenträume

Rosenträume

von: Debbie Macomber

HarperCollins, 2020

ISBN: 9783959674416

Sprache: Deutsch

416 Seiten, Download: 2008 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Rosenträume



1. Kapitel

Grace Sherman starrte auf das Formular hinunter, mit dem sie den Scheidungsprozess in Gang setzen würde. Zusammen mit ihrer ältesten Tochter Maryellen, die sie als moralische Unterstützung begleitet hatte, saß sie bei ihrem Rechtsanwalt. Eigentlich sollte das Ganze eine einfache Sache sein, denn ihre Entscheidung war gefallen. Sie war bereit, ihre Ehe zu beenden und den Scherbenhaufen ihres Lebens zusammenzukehren. Einen Neuanfang zu wagen … Trotzdem zitterte ihre Hand, als sie nach dem Stift griff, um zu unterschreiben.

Es ließ sich nicht leugnen, dass sie diesen Schritt nicht gehen wollte, aber Dan hatte ihr keine andere Wahl gelassen.

Im April, also vor fünf Monaten, war der Mann, mit dem sie seit fast sechsunddreißig Jahren verheiratet war, spurlos verschwunden. Eben noch war alles ganz normal gewesen, am nächsten Tag war er fort. Anscheinend aus freiem Willen und ohne ein Wort der Erklärung. Selbst jetzt fiel es Grace noch schwer zu glauben, dass der Mann, mit dem sie ihr Leben geteilt hatte, der Mann, den sie geliebt und dem sie zwei Töchter geboren hatte, so etwas Grausames tun konnte.

Wenn Dan sie einfach nicht mehr geliebt hätte, hätte sie das akzeptieren können. Hätte so viel Stolz und Großzügigkeit aufbringen können, ihn loszulassen, ohne deswegen verbittert zu reagieren. Wenn er in ihrer Ehe unglücklich war, dann hätte sie ihn gern gehen lassen, damit er mit einer anderen glücklich werden konnte. Was sie ihm aber nicht verzeihen konnte, war der Kummer, den er über ihre Familie gebracht hatte, und was er damit ihren Töchtern angetan hatte, vor allem Kelly.

Dan war verschwunden, kurz nachdem Kelly und Paul verkündet hatten, dass sie nach vielen Jahren vergeblicher Bemühungen endlich ein Kind erwarteten und sich wahnsinnig darauf freuten. Auch Dan war voller Vorfreude gewesen, genauso wie Grace. Dieses Baby würde ihr erstes Enkelkind werden, auf das sie schon so lange gehofft hatten.

Kelly hatte ihrem Vater immer sehr nahegestanden. Als er sie ausgerechnet in dieser entscheidenden Phase ihres Lebens im Stich ließ, war sie am Boden zerstört. Sie hatte Grace angefleht, mit der Scheidung zu warten, denn sie war überzeugt davon, dass ihr Vater wieder auftauchen würde, bevor Tyler zur Welt kam. Und dann würde sich zeigen, dass es einen vernünftigen Grund für sein Verschwinden gab, eine zufriedenstellende Erklärung.

Doch er war nicht zurückgekommen, und sie wussten immer noch nicht mehr als zuvor. Alles, was ihnen blieb, waren die Zweifel, ihre bohrenden Fragen und eine in den folgenden endlos scheinenden Wochen immer stärker brodelnde Wut.

Als Grace die Ungewissheit nicht länger ertrug, heuerte sie den Privatdetektiv und ehemaligen Polizisten Roy McAfee an. Ihm vertraute sie. In den letzten Wochen hatte Roy umfangreiche Nachforschungen angestellt, denn er war davon überzeugt, dass es irgendwelche Spuren geben musste, und er hatte recht behalten. Was er entdeckte, war für Grace jedoch ein gewaltiger Schock. Schon ein Jahr vor seinem Verschwinden hatte Dan einen Wohnwagen gekauft und in bar bezahlt. Grace hatte keine Ahnung, woher er das Geld genommen hatte, geschweige denn, dass dieser Wohnwagen überhaupt existierte. Dan hatte ihn nie erwähnt, gesehen hatte sie ihn auch nicht. Bis heute war es ihr ein Rätsel, wo er ihn all die Monate abgestellt hatte oder wo er jetzt stand.

Die Indizien häuften sich, und Grace hegte inzwischen einen Verdacht. Sie glaubte, dass Dan den Wohnwagen erworben hatte, um sich mit einer anderen Frau aus dem Staub zu machen. Einmal hatte man ihn in der Stadt gesehen, das war Ende Mai gewesen. Es wirkte gerade so, als habe ihr Mann dieses kurze Wiederauftauchen bis ins Detail geplant, als wolle er sie quälen, sie herausfordern, ihn aufzuspüren. Jener Tag war ein herber Schlag für Grace gewesen.

Einer von Dans Kollegen hatte ihn am Jachthafen gesehen und Maryellen informiert. Die war daraufhin sofort zur Stadtbibliothek gerannt, um ihre Mutter zu holen. Aber als Grace den Jachthafen erreichte, war Dan bereits wieder fort. Sein Kollege hatte beobachtet, wie eine Frau mit ihrem Wagen am Straßenrand hielt, Dan in das Auto stieg und sie fortfuhren. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm gesehen oder gehört.

Rückblickend gelangte sie zu der Überzeugung, dass Dan ihr damit genau die Antworten lieferte, die sie so dringend brauchte. Sie konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, warum er ausgerechnet dort in der Stadt auftauchte, wo am meisten los war, wo er garantiert gesehen – und erkannt – werden würde. Die Stadtbücherei, in der Grace arbeitete, war keine zwei Häuserblocks entfernt. Ganz offensichtlich fehlte ihrem Mann der Mut, ihr zu sagen, dass er eine Affäre hatte. Stattdessen hatte er sich für einen anderen Weg entschieden, sie darüber zu informieren, und sie vor der gesamten Stadt gedemütigt. Auch ohne dass man es ihr sagte, wusste Grace, dass jeder in Cedar Cove Mitleid mit ihr empfand.

Mit diesem Vorfall war die Angelegenheit für sie entschieden. Die Liebe, die sie noch für Dan empfand, starb an jenem Nachmittag. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht glauben wollen, dass eine andere Frau im Spiel war. Selbst nach der VISA-Rechnung für einen kostspieligen Ring, den Dan bei einem Juwelier in Cedar Cove gekauft hatte, hatte sie sich noch geweigert, zu glauben, dass ihr Mann eine Affäre mit einer anderen Frau hatte. Dan war einfach nicht der Typ Mann, der seiner Frau untreu wurde. Sie hatte ihm vertraut. Damit war es vorbei.

»Geht es dir gut, Mom?«, fragte Maryellen und berührte leicht ihren Arm.

Grace schloss die Finger fester um den Stift, den sie in der Hand hielt. »Bestens«, erwiderte sie scharf. Sofort tat es ihr leid, diesen Ton angeschlagen zu haben. Sie wollte ihre Tochter nicht angiften.

Die wandte den Blick ab. Grace konzentrierte sich auf die Papiere vor sich, zögerte noch einen Augenblick und unterschrieb dann hastig.

»Ich werde die Scheidung sofort einreichen«, sagte Mark Spellman.

Endlich entspannte sie sich und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. Das war alles gewesen? Man konnte eine fast sechsunddreißig Jahre währende Ehe einfach so mit einer Unterschrift beenden? »Das ist alles?«

»Ja. Da Sie seit fünf Monaten nichts von Dan gehört haben, ist nicht mit Problemen zu rechnen. In ein paar Wochen schon sollte die Scheidung rechtskräftig sein.«

Fast vier Jahrzehnte – wie Müll aus dem Fenster geworfen. Die guten Jahre, die schlechten Jahre, die mageren Jahre, die Jahre, in denen sie an allen Ecken und Enden sparen mussten. Wie jedes Ehepaar hatten auch sie Probleme gehabt, aber trotz allem hatten sie zusammengehalten. Bis jetzt, bis zu diesem Geschehnis …

»Mom?«, flüsterte Maryellen.

Grace nickte abrupt, selbst überrascht von den Empfindungen, die sie zu überwältigen drohten. Eigentlich hatte sie entschieden, längst die letzte Träne in dieser Angelegenheit vergossen zu haben. In den Monaten, die seit Dans Verschwinden ins Land gegangen waren, hatte sie um ihre Ehe und den Mann, den zu kennen sie geglaubt hatte, getrauert. Nun blieb ihr keine andere Wahl mehr. Die Scheidung war unausweichlich geworden, denn sie musste ihre finanziellen Interessen schützen. Ihr Anwalt hatte ihr erklärt, dass sie sich den Luxus, weiterhin nichts zu unternehmen, einfach nicht leisten konnte.

Ihre rechtliche Situation war das eine, damit war sie fertiggeworden. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es sie derart aufwühlen würde. Allem, was sie sich vorgenommen hatte, zum Trotz trauerte sie immer noch genauso sehr wie zuvor – und fühlte sich durch das, was Dan getan hatte, zutiefst gedemütigt. Jeder in der Stadt wusste, wie es um sie stand und dass ihr Mann sie einfach verlassen hatte.

Langsam legte Grace den Stift aus der Hand.

»Dann höre ich von Ihnen«, sagte sie zu dem Anwalt und erhob sich von ihrem Stuhl. Maryellen stand ebenfalls auf.

Mark Spellman, ein junger Mann, der Maryellen altersmäßig näher stand als Grace, begleitete sie zur Bürotür. Er setzte dazu an, etwas zu erwidern, senkte dann aber nur den Blick und verabschiedete sich kurz.

Draußen hatte sich die Farbe des Himmels in ein deprimierendes Bleigrau verwandelt. Grace spürte, wie tiefe Traurigkeit sie überkam. Sie hatte gewusst, dass dieser Termin nicht leicht werden würde, aber dass er ihr Selbstvertrauen so erschüttern würde, hatte sie nicht für möglich gehalten.

Maryellen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich muss zurück in die Galerie.«

»Ich weiß«, sagte Grace. Ihre Tochter hatte ihr angeboten, sie zu dem Anwaltstermin zu begleiten, um ihr den Rücken zu stärken. Grace war ihr dankbar dafür, auch wenn sie das für unnötig gehalten hatte. Maryellen hatte die Situation offenbar besser eingeschätzt.

Sie war selbst geschieden, hatte sehr jung und unüberlegt geheiratet, und ihre Ehe hatte nicht einmal ein ganzes Jahr gehalten. Seit ihrer Scheidung machte sie einen großen Bogen um Beziehungen. Grace hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie eines Tages einen wunderbaren Mann kennenlernen würde, einen Mann, der auf jemanden wartete, der exakt so war wie sie, aber Maryellen hielt das für naiv, wollte nichts davon hören, und inzwischen verstand Grace auch, warum. Eine Scheidung tat weh, richtig weh, und der Schmerz traf sie tief in ihrem Innersten. Grace fühlte sich aus dem Gleichgewicht gebracht und schuldig, als hätte sie versagt. Als wäre sie schuld an dem Desaster. Maryellen wusste, wie das war, weil sie all diese Empfindungen selbst durchgemacht hatte, in viel jüngerem Alter und noch ohne die...

Kategorien

Service

Info/Kontakt