Blumen auf Granit - Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse

Blumen auf Granit - Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse

von: Dörte von Drigalski

Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag, 2018

ISBN: 9783925931789

Sprache: Deutsch

352 Seiten, Download: 1741 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Blumen auf Granit - Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse



Chronologisches


Ihr Praxiszimmer lag im vierten Stock, an der Hauptdurchgangsstraße, am Ende eines ordentlichen, kahlen Neubauflurs. Die Möbel wirkten funktionell; um neun Uhr abends schien der Raum düster, die Analytikerin müde und abgespannt. Sie setzte sich mir rauchend gegenüber. Ich fühlte mich nicht in meinem Element; kritisch beäugt ohne Vorschussvertrauen. In das Schweigen hinein versuchte ich Biographisches zu erzählen. Sie sollte mich positiv beurteilen, und später in Analyse nehmen. Was ich brachte, schien sie aber nicht zu interessieren; oder es war nicht das Richtige. Sie blieb still; ich wurde unter ihrem Blick kleiner. Meine Stimme verkrumpelte sich, wurde dünner, leiser, faserig. Ich musste mich anstrengen, überhaupt etwas aus mir herauszubringen. Pausen entstanden; ich versuchte laut zu sprechen, aber gegen Satzende versandete ich. Ihr Blick schien ablehnend, gelangweilt; »gewogen und für zu leicht befunden«. Ich kam nicht an sie heran. Schließlich stellte sie in einer längeren Pause eine Frage; nach meiner Motivation. »Richtig lieben«, – ich brachte etwas von früheren Beziehungen; das war aber auch nicht das, was sie hätte interessieren können. Die kritische Stille saugte mich leer, wurde immer schlimmer; ich fühlte mich reizlos, unvital. Sie hatte keinen Spaß an mir. Über meine lahme Mattigkeit ärgerte ich mich, machte mir Vorwürfe, fühlte mich anders, alleine, kontaktmickerig. Quälte mich während einer Pause. Schließlich setzte sie zu einer Frage an. Ob ich mich manchmal richtig ärgern könne? In neutralem Ton; für mich klang er abwertend, verurteilend, säuerlich, knarrend neutral. Ich fühlte mich gründlich missverstanden: dass ich bissige Wutanfälle bekommen konnte, war mir oft peinlich gewesen. Wie sollte ich das aber jetzt vermitteln, in dieser Stimmung, wenn sie nicht von sich aus es mir zutraute, vermutete?

Ich hätte heulen können; ich kam nicht an gegen die schreckliche Stimmung. Mit Anstrengung konnte ich noch »ja« sagen; aber so verknautscht und leise, dass ich die Bestätigung auch albern und nicht überzeugend fand.

Immerhin ging die Stunde vorüber, und sie hatte nichts dagegen, dass ich in Analyse ginge. Darüber hätte ich mich freuen können; sie war die Dritte, die mich begutachtete, und ich somit zugelassen zur Lehranalyse.

Ich fühlte mich aber wie vernichtet, ausgelaugt; mutlos, nicht gemocht. Freude an mir hatte sie nicht gehabt. Ich hatte mich abgestrampelt, ohne Echo; offenbar war ich und mein Leben bisher für eine solche Analytikerin uninteressant; vielleicht völlig indiskutabel; pathologisch; nicht vorzuzeigen. Verquält und mutlos konnte ich lange nicht einschlafen. Aus den beiden früheren Interviews hatte ich Neues über mich erfahren; sie hatten mich gestärkt, beflügelt und begeistert. (Obwohl es durchaus eine Erniedrigung bedeutet hatte, nach allen Examen noch einmal nach unbekannten Kriterien geprüft zu werden.) (1)

Die erste – weiche und anziehende – Analytikerin mochte mich offenbar. Sie hatte interessiert gefragt; auch wenn sie still war, hatte ich mich nicht unter Druck gefühlt. Zu meinen frühesten Erinnerungen, in denen mich Männer auf dem Arm trugen, meinte sie lächelnd und wissend: »Das hat Ihnen wohl gefehlt«. Ich widersprach, fand die Idee hergeholt, konnte mich auch nicht an solche Sehnsüchte erinnern. Unter ihrem interessierten Strahlen wurde mir aber meine entschiedene Ablehnung suspekt; und mir fielen Heimkehrträume über meinen Vater ein, Vermisste, Kriegsgefangene, die doch noch ganz spät wiedergekommen waren. Sie zwang mir nichts weiter auf; aber meine glatte Zufriedenheit über meinen guten, toten Vater statt eines miesen, präsenten Nazivaters wie bei anderen wurde angekratzt. Auch ihre Frage, ob wirklich alles so schön zu Hause für mich gewesen sei, so gut und konfliktfrei, ob ich nicht dann etwas Besseres für mich mit Männern gestaltet hätte, kam in mir an, weichte mich auf. Sie fand mich noch »im Familienhimmel«, beurteilte mich sehr freundlich; meinte aber auch, ganz verstehe sie mich nicht. Fand keinen sie überzeugenden Grund, weshalb ich in Analyse wolle; sie schien vehementes Leiden gewohnt.

Nach ihr hatte ich mich sehr wohl gefühlt; mich aber auch gewundert: Von alleine – ohne Ausbildungszweck – wäre ich jetzt nicht in Analyse gegangen; einen solchen Leidensdruck spürte ich nicht.

Es hieß zwar, jeder Lehranalysand strebe im Grunde aus eigener Problematik, der Hoffnung, diese zu lösen, in psychoanalytische Ausbildung; es gäbe niemanden, der nicht deftige Gründe zu solcher Berufswahl habe. Mir reichte aber meine bewusste Motivation: Ich hatte gerne Medizin studiert; und die Ernüchterung war wie für viele aus meinem Jahrgang nach dem Examen an den Kliniken gekommen: Der ursprünglich intensive Kontakt mit Patienten (über Krankenpflegepraktikum, Famulieren, Medizinalassistentenzeit) verdünnisierte sich, und die Arbeit wurde abstrahiert, mechanisch, roboterartig, unmenschlich. Während einer Anamnese kam noch ein Kontakt zustande; aber unter dem Zeitdruck und der Betonung harter Fakten wurde diese oft zu einer Quälerei, weil auf den gefühlsmäßigen Anhang nicht eingegangen werden konnte, die aufgewühlten, z. T. tränenreichen Erinnerungen dem Tempo hinderlich waren. Dabei blieben die wenigsten kühl bei Fragen wie: Leben Ihre Eltern – Geschwister? Wann – woran sind sie gestorben? Ein Mediziner war um so tüchtiger, je mehr er diesen Gefühlswust übersehen, sich nicht von ihm aufhalten ließ. Nur war dies meist der letzte menschliche Kontakt gewesen; dann ging das sachliche Funktionieren nach Vorschriften los; und das konnte man nach einer Weile, wenigstens einigermaßen. Mit Erlebnissen, Gefühlen, Beziehungen Zusammenhängendes wurde überhaupt nicht gesehen. Menschen mit Asthma z. B. kamen im Nachtdienst oft mehrfach; und wurden nach den als adäquat erachteten Spritzen wieder nach Hause geschickt. Dass sie einfach saualleine waren, vielleicht Angst hatten, aus welchen Gründen auch immer, dass eine Therapie u. a. da ansetzen müsste, wurde nicht reflektiert. So schien Medizin oberflächlich, sinnlos; so machte sie keinen Spaß.

Jedenfalls war es für mich und viele aus meinem Jahrgang einfach die logische Entwicklung, sich in Richtung Psychoanalyse zu interessieren; wenn man nicht nur roboterartig funktionieren, seine Träume ein bisschen bewahren wollte.

(Es spricht wohl mehr für Pathologie und Defekte der betriebenen Medizin, wenn plötzlich viele sich um weitere Ausbildung bemühen, als für einen Boom an Medizinern mit heimlich motivierender Neurose; Psychoanalyse galt ja als die beste Ausbildung auf diesem Gebiet; und verglichen mit den üblichen Anforderungen an Mediziner [Nachtdienste ohne anschließendes Ausschlafen] wirkten vier Stunden pro Woche zusätzlich nicht gewaltig.)

Dabei spielt unbewusste Motivation sicher eine Rolle; genauso wie bei Ärzten, die ihr fachliches Interesse selektiv auf Knochen, Harnröhren, Hintern oder weibliche Genitalien richten. Mich hat nur jahrelang die Verteufelung der möglichen persönlichen Problematik geärgert; schließlich hat ja auch ein Mann mit Klumpfuß die erste wirksame Operation dagegen erfunden, ohne dass dieses Verfahren deshalb weniger brauchbar wäre.

(Da bei mir kein wirklich klares Bild meiner Motivation zustandegekommen war, bin ich jedenfalls später, wenn ich Zweifel hatte, im Zirkelschluss mit wissendem Blick verwiesen worden auf meine Störung, die ich ja schon durch meinen Entschluss zur Analyse bewiesen hatte.)

Ich hatte mich wohl gewundert, dass ich mit 26 nicht in einer geglückten Beziehung lebte, keine Kinder hatte; aber dafür hatte ich banale Erklärungen; und Freundinnen aus ähnlichem Milieu ging es auch so. Wirklich ernsthafte Schwierigkeiten hatte ich bisher in Schule oder Ausbildung nicht gehabt.

Mit zunehmender Kritik an dieser Art von Medizin fiel mir das sachliche Funktionieren schwer; ich wurde lustlos, bekam eine Infektionskrankheit, und konnte viel lesen währenddessen. Psychosomatische Medizin war dann etwas, wofür ich mich wieder begeistern konnte; und für das Klima und die Leute an der neuen Klinik erst recht. Dort musste niemand quasi Hände an der Hosennaht und im Stehen u. a. Blutsenkungsgeschwindigkeit rapportieren. Der Umgang miteinander war einfach gar nicht zu vergleichen mit dem, was ich an organmedizinisch orientierten Kliniken erlebt hatte.

Deshalb wollte ich in Psychoanalyse. Meinte ich.

Ich besprach mein ungutes Gefühl, meine Bedenken mit schon Analysierten; und lernte: Meine Empfindungen waren verständlich, ein Produkt von Abwehr und Angst; schließlich hatte ich gewusst, dass ich bei dieser Frau in Analyse gehen werde, mich dann innerlich auf Distanz begeben, um zuviel Positives, zuviel Nähe zu umgehen. Sicher kenne ich doch solche Reaktionen von mir. Außerdem sei sie anfangs spröde. Aus dem Normalleben fiel mir spontan keine Situation ein, nach der ich mich ähnlich ruiniert gefühlt hatte; dies bewies aber schon die Stärke, Wirksamkeit und Intensität der Psychoanalyse.

Dass mich die erste Analytikerin begeistert hatte, schien ja in meine psychische Taktik zu passen, durch die ich Fernlieben, aber keinen Ehemann hatte. Von ihr hatte keine analytische Nähe gelauert; da hatte ich mich wohlfühlen können.

Erzählungen, wie herzlich und liebevoll meine Analytikerin sei, überzeugten mich; ich diagnostizierte, und schmiss mein eigenes Erleben über Bord. Die Erklärung, Angst vor positiven Gefühlen zu haben, war ja auch interessant; damit war ich schon im analytischen Prozess.

Meine Bedenken kamen wieder, als ich sie wegen des Analysebeginns anrief. Mit kühler und abweisender Stimme fragte sie zurück, ob ich denn wirklich zu ihr kommen wolle; sie bliebe ja nur noch ein Jahr. Ich...

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