Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika - Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen. Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks

Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika - Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen. Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks

von: Volkmar Aderhold, Marc Rufer, Josef Zehentbauer

Peter Lehmann Publishing, 2017

ISBN: 9783925931697

Sprache: Deutsch

241 Seiten, Download: 1530 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika - Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen. Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks



Geleitworte


Geleitwort von Peter und Sabine Ansari


Peter Lehmann ist der renommierteste Psychiatrie-Kritiker im deutschsprachigen Raum, und das bereits seit mehr als 35 Jahren. Als er 1980 anfing, speziell die Wirkungsweise und unerwünschten Wirkungen von Neuroleptika offenzulegen, wurde er mit harten Bandagen bekämpft. Niemand wollte ihm zuhören. Um gedruckt zu werden, musste er einen eigenen Verlag gründen. Jahre später waren seine Bücher in mehrere Sprachen übersetzt und gelten heute als Standardwerke der kritischen Psychiatrie. Zwischenzeitlich hat Lehmann einen Ehrendoktortitel und anschließend das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Aber es gibt immer noch Kritiker, die seine Einwände nur für die älteren Antidepressiva und Neuroleptika gelten lassen wollen. Neuere Psychopharmaka seien viel besser verträglich und hätten gar nicht dieselben schweren Nebenwirkungen. Wie wenig Wahrheit hinter dieser Behauptung steckt, hat Peter Lehmann in seinem neuen Werk herausgearbeitet. In akribischer Kleinarbeit hat er sich die neueren Antidepressiva und Neuroleptika einzeln vorgeknöpft und beschrieben, für welche Indikationen sie eingesetzt werden, aber vor allem auch, welche unerwünschten Wirkungen während der Behandlung mit jedem einzelnen Medikament zu erwarten sind.

Die Leserinnen und Leser können dadurch prüfen, ob die Symptome, unter denen sie leiden, von dem Medikament verursacht werden. Sie können mit dieser Information dem von ärztlicher Seite häufig geäußerten Argument »Sie haben aufgrund Ihrer Grunderkrankung Schwindelgefühle, Unruhezustände, Übergewicht etc.« selbstbewusst entgegentreten.

Neuere Langzeitstudien haben gezeigt, dass Menschen, die dauerhaft Psychopharmaka einnehmen, früher sterben und seltener selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben als diejenigen, die sich nach einer Krise gegen eine dauerhafte Einnahme von Psychopharmaka entschieden haben.

An der Verbreitung dieses Wissens sind im deutschsprachigen Raum seit Jahrzehnten die beiden Ärzte Marc Rufer und Josef Zehentbauer sowie der Psychiater Volkmar Aderhold stark beteiligt. Jeder der vier Autoren engagiert sich seit vielen Jahren für eine angemessene und wirksame Hilfe für Menschen in psychosozialen Krisen und für selbstbestimmte Hilfe beim Absetzen.

So endet das Buch mit dem wichtigen Absetzkapitel, in dem die Autoren warnen, dass es nach jahrelangem Gebrauch keinesfalls leicht ist, die Psychopharmaka abzusetzen. Nicht allen gelingt der Entzug und für manche Neuroleptika-Patientinnen und -Patienten ist es einfacher, eine weiterhin minimaldosierte Wirkstoffmenge einzunehmen, als das Mittel vollständig abzusetzen.

Absetzen ist ein sehr ernstes Thema, viele »Rückfälle« oder sogar psychiatrische Lebenskarrieren lassen sich auf einen schlecht informierten Umgang mit Psychopharmaka zurückführen. Wer diese Substanzen über einen längeren Zeitraum eingenommen hat, verändert dadurch seine Gehirnbiochemie. Durch Anpassungsvorgänge im Gehirn erhöht sich beim Absetzen das Risiko, erneut eine Krise zu erleiden. Wir wissen aus Erfahrung mit unseren Patientinnen und Patienten, wie wenig sie über Wirkungen und Risiken der Psychopharmaka aufgeklärt werden. Dieses Buch liefert ihnen – aber auch Ärzten, Therapeuten und Angehörigen – eine wertvolle Zusammenstellung all der Informationen, die für eine selbstbestimmte Therapie benötigt werden.

Dr. Peter und Sabine Ansari, Coppenbrügge, im Juli 2017

Geleitwort von Andreas Heinz


Volkmar Aderhold, Peter Lehmann, Marc Rufer und Josef Zehentbauer legen ein umfangreiches und kritisches Buch zu Wirkmechanismen und unerwünschten Wirkungen der derzeit gängigen medikamentösen und neurobiologisch orientierten Therapieverfahren in der Psychiatrie vor. In vielen Bereichen ist das Urteil über diese Verfahren, zumindest was ihre länger dauernden Auswirkungen betrifft, ausgesprochen negativ. Wer als professionell in diesem Bereich tätige Person dieses Buch liest, mag an vielen Stellen widersprechen wollen. Gibt es nicht eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten, die durch diese Therapieansätze eine deutliche Besserung, wenn nicht gar Beschwerdefreiheit erreicht haben? Dieser Einwand hilft allerdings weniger, als man denken könnte, denn zurecht gehen die Autoren auch auf den Placebo-Effekt ein, der ja jede Therapie, von der die professionell Behandelnden überzeugt sind, bereits mit positiven Auswirkungen versieht, ganz unabhängig davon, was deren eigentliche Wirkmechanismen auslöst. Gerade deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem hier vorliegenden Buch so wichtig.

Mit großer Sorgfalt haben die Autoren eine Vielzahl von Befunden und kritischen Berichten zusammengetragen, die einen umfassenden Überblick über die unerwünschten Wirkungen und die Kritik am Einsatz der genannten Verfahren ermöglichen. Selbst wenn man an dieser oder jener oder auch an vielen Stellen mit den Schlussfolgerungen der Autoren nicht übereinstimmt, ist es für therapeutisch Tätige entscheidend, diese Befunde und Bedenken zu kennen. Dies umso mehr, als diese Therapieansätze auch bei Patientinnen und Patienten zum Einsatz kommen, die aufgrund einer Selbstgefährdung mit drohendem erheblichem Gesundheitsschaden und bei mangelnder Einsicht in ihre Gefährdung gegen ihren aktuell geäußerten Willen mit solchen Verfahren behandelt werden.

Aber auch jenseits dieser kontrovers diskutierten Situationen ist es essentiell, dass die Patientinnen und Patienten über die kurz- wie langfristigen unerwünschten Wirkungen der Therapieverfahren ebenso aufgeklärt werden wie über widersprüchliche Befunde zur kurz- und langfristigen Wirksamkeit und den Wirkmechanismen dieser Therapieverfahren.

Dies gilt natürlich nicht nur für den Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie, sondern für die gesamte Medizin. So finden sich die von den Autoren zurecht betonten Absetzsymptome nach Verordnung von Neuroleptika oder Antidepressiva auch nach dem Absetzen (»Entzug«) einer Vielzahl weiterer chronisch verordneter Medikamente, beispielsweise beim Absetzen bestimmter Antihypertensiva (Medikamente zur Behandlung eines Bluthochdrucks) bis hin zu lebensbedrohlichen kardiovaskulären Komplikationen. Diese Absetz- oder Entzugssymptome wecken bei vielen Betroffenen die Sorge, dass sich eine Abhängigkeitserkrankung ausgebildet hat. Aus medizinischer Sicht ist allerdings der Begriff der Abhängigkeitserkrankungen für Suchterkrankungen reserviert, die nur dann diagnostiziert werden sollten, wenn zusätzlich zu Absetz- bzw. Entzugssymptomen auch ein starkes Verlangen nach der Substanz (dem Medikament oder der Droge) und eine Kontrollminderung im Umgang damit gegeben ist. Letzteres ist bei Morphium und Benzodiazepinen der Fall, bei Antidepressiva und Neuroleptika aber nicht. Auch wenn hier also aus medizinischer Sicht keine Suchterkrankung vorliegt, ist die Kenntnis der substanzeigenen Absetzsymptome sehr wichtig, wenn es darum geht, Patientinnen und Patienten beim Absetzen kompetent zu begleiten.

Mit der Lektüre des Buches stellt sich die Frage nach den praktischen Auswirkungen der hier vorliegenden Kritik. Zum einen verweist der vorliegende Band mit Recht auf die Notwendigkeit, beim Absetzen der Medikamente vorsichtig vorzugehen und diese langfristig schrittweise zu reduzieren, um unerwünschte Wirkungen inklusive des gegebenenfalls erhöhten Risikos des Wiederauftretens der Grunderkrankung zu vermeiden. Da bereits jetzt sehr viele Patientinnen und Patienten ihre Medikation absetzen, meist eher plötzlich, sind diese Hinweise ausgesprochen wichtig. Für diejenigen, die erfolgreich mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten behandelt werden, ist die Information über erwünschte und unerwünschte Wirkungen der Medikamente hoch relevant, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.

Alle Therapeutinnen und Therapeuten – auch die, die mit den im Buch geäußerten Einschätzungen nicht übereinstimmen – sind damit aufgerufen, sich mit diesen Studien auseinanderzusetzen, weitere Erfahrungen und Studien in die Diskussion einzubeziehen und den Patientinnen und Patienten ein informiertes Bild über die Behandlungsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen inklusive der in diesem Band zusammengestellten kritischen Befunde zu ermöglichen. Dies ist auch ein wichtiger Bestandteil der Entscheidung bei Vorausverfügungen für krisengefährdete und ältere Menschen, damit diese ihr Recht auf eine selbstbestimmte angemessene Behandlung wahrnehmen und verteidigen können, auch gegen die Zwänge einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens.

Dies gilt gerade in Zeiten, in denen in vielen Industrienationen die sozialen Netzwerke und die Gesundheitsversicherungen für einen Großteil der Bevölkerung nicht garantiert sind und die Alternative zu einer überfürsorglichen oder paternalistischen Gesundheitsversorgung die Vernachlässigung, Obdachlosigkeit und gegebenenfalls Inhaftierung eines großen Teils der psychisch kranken Bevölkerung ist, wie sich das in Studien zum Abbau psychiatrischer Leistungen und zur gleichzeitigen Erhöhung der Zahl der Gefängnisinsassen zeigt. Die Alternative zu einer zu breiten und unkritischen Medikamentenverordnung ist nicht der Abbau gesundheitlicher Versorgungsleistungen, sondern der Aufbau ausführlicher Informationsstrukturen inklusive der Garantie der dafür notwendigen Personalressourcen. Dies gilt für Arztpraxen ebenso wie für Krankenhäuser, für ambulante multiprofessionelle Teams, die derzeit noch unzureichend finanziert sind, für psychotherapeutische Angebote, die für Menschen mit schweren psychischen Störungen meist nicht zugänglich sind, für Selbsthilfegruppen und EX-INler wie für Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen. Medikamente können ein ausgesprochen wichtiger und...

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