Die Evolution des Menschen

Die Evolution des Menschen

von: Thomas Junker

Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN: 9783406722776

Sprache: Deutsch

127 Seiten, Download: 5224 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Die Evolution des Menschen



Homo sapiens? – Pan sapiens!


Am 14. Februar 1747 machte der berühmte Botaniker Carl Linnaeus seinem Ärger in einem Brief an den Sibirienforscher Johann Georg Gmelin Luft: «Ich frage Sie und die ganze Welt nach einem Gattungsunterschied zwischen dem Menschen und dem Affen, d.h., wie ihn die Grundsätze der Naturgeschichte fordern. Ich kenne wahrlich keinen und wünschte mir, dass jemand mir nur einen einzigen nennen möchte. Hätte ich den Menschen einen Affen genannt oder umgekehrt, so hätte ich sämtliche Theologen hinter mir her; nach kunstgerechter Methode hätte ich es wohl eigentlich gemusst» (Gmelin 1861: 55).

Was war geschehen? Zwölf Jahre zuvor hatte Linnaeus in der ersten Auflage seines Systems der Natur ein äußerst ehrgeiziges Programm vorgestellt. Er wollte, wie er später schrieb, nicht weniger als «ALLES, was auf der Erde vorkommt» benennen und einordnen (1751: 1). Alles – dazu zählten für ihn nicht nur alle Arten von Pflanzen, Mineralien und Tieren, sondern selbstverständlich auch die Menschen. Die Art Homo sapiens (vernünftiger Mensch), wie er sie nannte, bekam den ersten Rang zugewiesen, wurde aber zu den vierfüßigen Tieren (‹Quadrupedia›) gestellt. In den folgenden Jahren änderte Linnaeus die eine oder andere Zuordnung und führte für die vierfüßigen Tieren den heute üblichen Namen ‹Säugetiere› (‹Mammalia›) ein. Aber an dem Punkt, der ihm die meiste Kritik eingetragen hatte, ließ er sich nicht beirren: Die Menschen blieben Teil des Systems der Natur und sie standen nahe bei den Affen.

Abb. 1: Im Jahr 1699 erschien die erste wissenschaftliche Untersuchung eines Schimpansen durch den Arzt Edward Tyson.

Aus heutiger Sicht mag man die Aufregung der Zeitgenossen von Linnaeus belächeln, schließlich hatte er nur ein Ordnungssystem geschaffen, das sich zudem lediglich auf gut abgrenzbare körperliche Merkmale bezog. Höhere geistige Fähigkeiten, beispielsweise die Sprache, soll nur der Mensch haben, davon war Linnaeus wie fast alle Naturforscher seiner Zeit überzeugt. In vielerlei Hinsicht war sein System also ein noch unsicherer erster Schritt. Zugleich markierte es aber den Beginn einer weltanschaulichen Revolution, deren Konsequenzen erst langsam ins Bewusstsein der Menschen traten. Von nun an waren sie ein Teil der Natur, eine Tierart unter vielen. Die uralte Frage nach der Natur des Menschen konnte nicht nur, nein sie musste mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden: Die Biologie würde von nun an selbst eine Anthropologie sein, eine Lehre vom Menschen.

Und heute? Welche Chancen hätte der Vorschlag, den Menschen einen Affen zu nennen, oder umgekehrt? Molekulargenetische Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen mehr als 98 Prozent ihrer DNA und fast alle Gene mit Schimpansen gemeinsam haben (mit Mäusen beispielsweise sind es rund 80 Prozent). Tierarten mit einem so geringen genetischen Abstand werden normalerweise in einer einzigen Gattung vereint. Die Menschen wären dann, wie Jared Diamond vor einigen Jahren anregte, neben Schimpansen und Bonobos die dritte Schimpansenart, Pan sapiens (Diamond 1998; Nature 2005).

Linnaeus hat die Ähnlichkeiten zwischen Menschen und anderen Primaten nicht mit ihrem gemeinsamen evolutionären Ursprung erklärt, sondern er glaubte, dass jede Art getrennt erschaffen worden sei. Einige seiner Zeitgenossen waren da weniger zögerlich, und bald begann man über Menschen als abgewandelte Affen und umgekehrt zu spekulieren. Durchgesetzt hat sich die Evolutionstheorie aber erst ein Jahrhundert später, als Charles Darwin zeigen konnte, wie sich die Eigenschaften der Lebewesen im Wechselspiel von Vererbung und Auslese verändern. Das natürliche System wurde so zur Grundlage für den Stammbaum der Organismen. Denn gemeinsame Abstammung, schrieb Darwin, sei «die einzige sicher bekannte Ursache von Ähnlichkeit bei Lebewesen» (1859: 456). Der Schluss von Ähnlichkeit auf Verwandtschaft ist nicht in allen Fällen zutreffend, bei Wahl geeigneter Merkmale und Methoden aber sehr wohl geeignet, zuverlässige Stammbäume zu erstellen.

Was spricht für die Primaten-Abstammung der Menschen?


Primaten sind eine Ordnung der Säugetiere mit rund 230 heute lebenden Arten. Feuchtnasenaffen (Strepsirhini) und Koboldmakis (Tarsiiformes) hat man früher als Halbaffen (Prosimiae) zusammengefasst. Die sogenannten echten Affen werden in die Neuweltaffen Amerikas (Platyrrhini, Breitnasenaffen) sowie in die Altweltaffen Afrikas und Asiens (Catarrhini, Schmalnasenaffen) unterteilt. Zu den Altweltaffen zählen die Schwanzaffen (Cercopithecoidea) sowie die Menschenaffen einschließlich der Menschen (Hominoidea). ‹Primaten› ist also der wissenschaftliche Name für eine Tiergruppe, die man im Deutschen umgangssprachlich als ‹Affen› bezeichnet. In diesem Sinne stammen die Menschen selbstverständlich von Affen bzw. von Menschenaffen ab, aber nicht von heutigen Arten, sondern von äffischen Vorfahren, die vor Millionen von Jahren lebten und längst ausgestorben sind.

Abb. 2: Stammbaum der heute lebenden Primaten

Die Ursprünge der Primaten reichen mehr als 65 Millionen Jahre (MJ) in die Zeit der Dinosaurier zurück. Aus Fossilfunden und molekularbiologischen Daten weiß man, dass die gemeinsamen Vorfahren der sogenannten echten Affen (im Gegensatz zu den Halbaffen) vor rund 40 MJ in Afrika lebten. Von dort stammen auch die Neuweltaffen, die Südamerika entweder über den Atlantischen Ozean oder über die damals nicht völlig eisbedeckte Antarktis erreichten. Vor etwa 28 MJ trennten sich dann in Afrika die größeren, schwanzlosen Menschenaffen von den Schwanzaffen (Meerkatzen, Paviane u.a.). Bemerkenswert vollständige Fossilien früher Menschenaffen haben sich von Arten der Gattung Proconsul in Ostafrika erhalten (20–​17 MJ alt). Obwohl es sich bei Proconsul wohl nicht um den direkten Vorfahren heutiger Menschenaffen handelt, vermittelt er doch einen Eindruck, wie dieser ausgesehen haben mag (Stewart & Disotell 1998).

Abb. 3:  Künstlerische Rekonstruktion von Proconsul (nach Bonis 2001–​02)

Die meisten Primaten sind an das Leben in tropischen Wäldern angepasst. Das flache Gesicht, bei dem die Augen sich an der Vorderseite des Kopfes befinden, ermöglicht räumliches Sehen – lebenswichtig für Arten, die sich durch Hangeln, Klettern und Springen auf Bäumen und Ästen fortbewegen. Wenige Primaten wie Dscheladas, Husarenaffen und Menschen leben in offenem Gelände, wo sie auf dem Boden laufen müssen. Und nur Menschen sind schlechte Kletterer, da ihre Füße durch die Anpassung an ausdauerndes Laufen auf zwei Beinen die Greiffähigkeit verloren haben.

Der anatomische Vergleich heute lebender Tierarten


Bereits die Naturforscher des 18. Jahrhunderts wussten, dass der menschliche Körper bis ins Detail mit dem anderer Säugetiere und vor allem mit dem der Primaten übereinstimmt. Und obwohl einige Wissenschaftler ihren ganzen Ehrgeiz daransetzten, einen absoluten Unterschied zu finden – in der Zahl und Anordnung der Knochen, im Aufbau des Gehirns oder in anderen Eigenschaften –, erwies sich jeder dieser Funde als trügerisch. So hat man eine Weile vermutet, dass Menschen der Zwischenkieferknochen fehlt, in dem bei Säugetieren die oberen Schneidezähne verwurzelt sind. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe konnte zeigen, dass Menschen auch in dieser Hinsicht mit den anderen Tieren übereinstimmen (Junker & Hoßfeld 2009: 113–​18). Das Ergebnis der Suche nach einer qualitativen anatomischen Einzigartigkeit der Menschen war insgesamt negativ. Was man fand, waren quantitative Abweichungen – in den Proportionen von Armen und Beinen, in der Behaarung und Pigmentierung der Haut oder in der relativen Größe des Gehirns.

Der Vergleich von Proteinen und DNA


Die Frage war also nicht mehr, ob, sondern wie Menschen mit den anderen Menschenaffen verwandt sind. Da sich die großen Menschenaffen in ihrer äußeren Erscheinung, der Art der Fortbewegung und im Verhalten doch recht deutlich von Menschen unterscheiden, vermutete die Mehrheit der Biologen bis in die 1990er Jahre, dass Schimpansen, Gorillas und...

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