Einführung in die Kunstpädagogik

Einführung in die Kunstpädagogik

von: Georg Peez, Jörg Dinkelaker, Merle Hummrich, Wolfgang Meseth, Sascha Neumann, Christiane Thompson

Kohlhammer Verlag, 2018

ISBN: 9783170329447

Sprache: Deutsch

216 Seiten, Download: 6902 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Einführung in die Kunstpädagogik



2          Entwicklung der Kunstpädagogik – vom 16. Jahrhundert bis heute


 

 

2.1       Zeichenstunden und ihre Bedeutung für Erziehung und Ausbildung seit dem Mittelalter


Im Mittelalter gab es nur eine sehr kleine Anzahl von Gelehrten und Geistlichen, die als Illustratoren und Miniatoren für Bücher tätig waren. Diese Bücher hatten religiöse und nach dem 14. Jahrhundert verstärkt humanistisch-profane Inhalte. Heute besitzen wir keine verlässlichen Quellen darüber, mit welchen erzieherischen Mitteln in dieser Zeit speziell Fähigkeiten und Wissen zur Buchillustration von den Älteren an die Jüngeren weitergegeben wurden. Es ist davon auszugehen, dass die Prinzipien der Nachahmung (vgl. Kap. 6.1) in der personalen Lehre – für einzelne Lernende oder für kleine Gruppen – vorherrschend waren.

In Lateinbüchern aus dem 16. Jahrhundert sind darüberhinaus ab und zu Randzeichnungen zu finden, die inhaltlich nicht an den Text gebunden waren, nicht die Funktion einer regulären Illustration erfüllten und so als autonome Zeichnungen gelten können. Hier handelt es sich um früheste authentische noch erhaltene Zeugnisse der Zeichentätigkeit von Heranwachsenden (vgl. Kap. 7.4). Von entsprechender Bedeutung sind auch Strichmännchen und karikaturähnliche Kritzeleien, mit denen lesende und schreibende Mönche ab und zu die Ränder ihrer Bücher schon Jahrhunderte vorher versahen. Diese Form der ›Buchzeichnung‹ nahm mit der Verbreitung des gedruckten Buches ab, wohl deswegen, weil die Einheit von Schreiben und Zeichnen in Bezug auf das Buch langsam verloren ging (Kemp 1979, S. 18ff.). Die früheste

Abb. 4: Giovanni Francesco Caroto (ca. 1480–1546): Knabe mit einer Zeichnung, ca. 1520, Öl auf Holz, 37 x 29 cm, Verona Museo di Castelveccio

Darstellung einer Kinderzeichnung in der abendländischen Kunst findet sich auf einem Gemälde von Giovanni Francesco Caroto, das um das Jahr 1520 entstand (Abbildung 4). Auf diesem Bild sind bereits Indizien für Zeichenunterricht abzulesen (Kemp 1979, S. 25ff.; Wittmann 1997).

Zwischen der Hochkultur des weltlichen und kirchlichen Adels einerseits und der bäuerlichen Volkskultur andererseits erstarkte ab Ende des 15. Jahrhunderts eine dritte, mittlere, bürgerlich geprägte Kultur. Auftraggeber von Kunstwerken wurden zu Kunstliebhabern und interessierten sich verstärkt für künstlerische Werte, wie Individualität, Originalität und auch für die Genialität der beauftragten Künstler. Diese sich entwickelnde kunstsensible und kunstkritische Haltung, die sich von den obersten gesellschaftlichen Gruppen ausgehend langsam ›nach unten‹ durchsetzte, ist eine direkte Voraussetzung für bildnerisch-ästhetische Praxis von Laien, vor allem für Zeichenunterricht. Am Ende dieser kulturellen Neuorientierung und ›Zivilisation‹ des Adels und des reichen Bürgertums wurde das Zeichnen als autonome künstlerische Technik vollgültiges Ausdrucksmittel der Laien. Dies bedeutete, dass Zeichnen eine Tätigkeit war, die in pädagogischen Situationen vermittelt wurde.

Der Wert des Zeichnens und Malens als Teil einer humanistischen Gesamterziehung für die oberen Stände wurde für die Prinzenerziehung der Renaissance in Berufung auf die Antike wiederentdeckt. Einhergehend mit Architekturtheorie wurden Architektur und geometrische Körper gezeichnet, nach antiken Porträtbüsten und Skulpturen wurde kopiert. Durch das Zeichnen konnten die Fürsten kriegerische Strategien planen (›Kriegskunst‹), Bauwerke entwerfen, beim In-Auftrag-Geben von Kunstwerken selbst planerisch Hand anlegen und sich die Aneignung von Wissenschaften und Wissen über die Natur erleichtern. Adel und Bürgertum genossen die Exklusivität dieser Tätigkeit; nur sie verfügten über entsprechende Zeichenmaterialien. In den zeitgenössischen Abhandlungen wird zudem der erholende Wert, der dem Zeichnen zugeschrieben wurde, oft betont (z. B. Castiglione 1528, S. 94), was jedoch nicht dessen erzieherischen Stellenwert verringerte.

2.2       Künstlerisches Virtuosentum im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts – Lehren für Heranwachsende und ›Dilettanten‹


Insbesondere im Adel bestand jedoch auch zugleich noch häufig die Meinung, Zeichnen sei manuelle Arbeit und deshalb dem Adelsstand unwürdig. Diesem Argument wurde mit dem Hinweis begegnet, dass Zeichnen eine allgemeine geistige Tätigkeit sei. Durch ihre schöpferischen Anteile sei sie ein ›Wetteifern mit Gott‹, so mache schöpferisches Zeichnen die Menschen gottähnlich. Gegenüber dem höhere technische Anforderungen stellenden Zeichenmaterial wie Silberstift und Zeichenpinsel hatten sich die adligen Laien beiderlei Geschlechts – Heranwachsende wie auch Erwachsene – zunächst auf die Feder, die sie schon vom Schreiben her kannten, und etwas später – vor allem in England – auf das Aquarellieren spezialisiert. Frühe Formen des Graphitstifts (›Bleistift‹) setzten sich nur langsam durch. Aquarell- und Wasserfarben erfreuten sich deswegen so großer Beliebtheit (und sie tun dies auch heute noch), weil sie erstens farbige Malmaterialien waren, die keine lange Zeit zum Anmischen, zur Vor- und Zubereitung erforderten. Zweitens konnte man sie leichter verarbeiten als Tempera- oder Ölfarben. Drittens waren sie geruchsneutral. Und viertens wurde ihr Gebrauch nicht durch Zünfte und Berufsstände reglementiert. Aquarellfarbe galt von Beginn an als ein Malmaterial für Laien, das neben den Papieren, dem Zeichenmaterial und den Zeichengründen in ausreichenden Maßen auf dem Markt zur Verfügung stand. Als Folge der wachsenden Nachfrage erschien 1606 die erste gedruckte Zeichenlehre für Dilettanten (Kemp 1979, S. 132f.). ›Dilettant‹ stand im damaligen Sprachgebrauch für einen Liebhaber in den Künsten und war nicht abwertend gemeint.

Der Zeichenunterricht, den manche in Privatstunden bei meist verarmten Künstlern nahmen, basierte vor allem auf dem Kopieren nach Stichen antiker Vorlagen aus Musterbüchern. Der Unterricht begann, wie z. B. bei Preißler in seinen 1734 verfassten »Regula und Anleitungen zum Zeichnen nach Vorlagen berühmter Künstler«, mit dem linearen Zeichnen geometrischer Figuren und dem Zeichnen nach Stichen antiker Modelle. Als besonderer Schwierigkeitsgrad führte die Darstellung von Perspektive und Schattierungen auf dem Papier hin zum Zeichnen und Malen von Landschaften und Historien.

Innerhalb der damals üblichen Hauslehrererziehung schilderte Jean Jacques Rousseau 1762 seinen Umgang mit der freien Kinderzeichnung des ihm anvertrauten Zöglings namens Émile: »Ich werde anfänglich einen Menschen so zeichnen, wie ihn die Dienerschaft an die Mauern schmiert: einen Strich statt jedes Armes, einen Strich statt jedes Beines, die Finger größer als der Arm. Lange danach werden wir einer den anderen auf dieses Missverhältnis aufmerksam machen. Wir bemerken, dass ein Bein eine gewisse Stärke hat, dass diese Stärke nicht überall gleich ist, dass der Arm im Verhältnisse zum Körper eine bestimmte Länge hat usw.« (Rousseau nach Kemp 1979, S. 229). Die soziale Zuordnung der originären Kinderzeichnung zur »Dienerschaft« macht – trotz des Einfühlungsvermögens Rousseaus – deutlich, dass für ihn nur die naturalistische Wiedergabe einen erzieherischen Wert besaß.

Im Jahre 1795 veröffentlichte Friedrich Schiller seine Briefe »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«. In ihnen formulierte er – vom Gedankengut der Französischen Revolution beeinflusst – eine komplexe philosophische, politische und ästhetiktheoretische Bildungsidee, die alle Menschen als Individuen ernst nahm und die auf eine Verwirklichung ihrer individuellen und kollektiven Möglichkeiten baute. Zentrale Bezugsaspekte waren Freiheit, Spiel und Schönheit. Schiller sah die fortschreitende Entfremdung des Menschen von seinen Bedürfnissen, er sah die Ambivalenz der Moderne zwischen unzweifelhaften Fortschritten und gravierenden Verlusterfahrungen (Legler 2011, S. 77ff.). Ein Ausgleich zwischen Sinnlichkeit und Vernunft sollte innerhalb einer humanen ästhetischen Erziehung durch den menschlichen Spieltrieb erreichbar sein: »Denn um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« (Schiller 1793/95, 15. Brief). Schillers philosophische »Briefe«, die keine praxisorientierten Anweisungen enthielten, erfuhren bis in unsere Tage...

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