Cornwall mit Käthe - Roman

Cornwall mit Käthe - Roman

von: Stephanie Linnhe

Ullstein, 2016

ISBN: 9783843713054

Sprache: Deutsch

432 Seiten, Download: 2570 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Cornwall mit Käthe - Roman



9


Das wollte ich gerade kaufen!«

Ich zog erschrocken meine Hand zurück, die ich nach dem Untersetzer mit Stonehenge-Motiv ausgestreckt hatte. Schon wurde er aus der Halterung gerissen und schwebte an meinem Gesicht vorbei.

Die Siegerin dieses seltsamen Kampfes, eine Landsmännin mittleren Alters in einem langen Kleid und Absatzschuhen (sollte sie die beim Steinkreis getragen haben, musste ich sie widerwillig bewundern), straffte ihre Schultern und stapfte zur Kasse. Ich fragte mich, woher sie gewusst hatte, dass ich Deutsche war, und setzte meinen Rundgang durch den Souvenirshop fort. Ich hatte nicht vor, etwas zu kaufen, aber noch blieben mir fünfzehn Minuten bis zur Weiterfahrt, und ich wollte meinen Besuch bei den Steinen nachklingen lassen, indem ich durch Bücher blätterte und Postkarten betrachtete.

Stonehenge hatte mehr Eindruck auf mich gemacht als erwartet. Zwar mussten die Besucher einen Mindestabstand halten, aber dennoch war es ein faszinierendes Erlebnis. Als ich vor den meterhohen Brocken stand, fragte ich mich zum wiederholten Mal, was die Menschen damals dazu gebracht hatte, sie ausgerechnet auf diesen unscheinbaren Hügel zu schleppen. Anders als Gabs oder Onkel Olli (oder viele andere Besucher, die ihre Theorien im Brustton der Überzeugung möglichst laut verkündeten) hatte ich keine Erklärung, und plötzlich schien sie mir auch gar nicht mehr so wichtig. Alles, was zählte, war die Tatsache, hier zu sein. Über alles andere konnte ich mir später Gedanken machen. Ausnahmsweise hatte das Schicksal ein Einsehen mit mir gehabt und Käthe von mir ferngehalten: Sie hatte sich den Ingbills angeschlossen und winkte mir lediglich zu.

Jetzt, im überheizten Shop des Visitor Centres mit seiner Glasfront, den Holzverkleidungen und den ordentlich aufgereihten Büchern, fragte ich mich, ob ich meinen entspannten Zustand dem Zauber des Ortes verdankte. Vielleicht hatte Gabs’ Hingabe zum Spirituellen bereits auf mich abgefärbt? Nachdenklich befingerte ich ein Batiktuch.

Käthe betrat den Raum und war so fair, ihr Erscheinen anzukünden, indem sie ihre Handtasche durch die Luft schwenkte. So ließ sie mir zwar eine Chance zur Flucht, brachte aber auch die Glasregale neben sich in höchste Gefahr. Ich winkte und merkte, dass ich nicht mehr sauer war. Zumindest nicht auf Käthe.

Gelbes, strahlendes Licht, Juna! Oder Liebe für alle? Vielleicht solltest du doch das Batiktuch kaufen.

»Unglaublich spannend, diese Steinsache, oder?«, rief Käthe, als sie noch mehr als zwei Regalreihen entfernt war. »Ich hab nicht gedacht, dass die so groß sind! Natürlich hab ich drüber gelesen, und Inge Dambrow hat mir viel erzählt, aber es ist doch etwas anderes, es mit eigenen Augen zu sehen, nicht wahr?«

Ich stimmte ihr zu – fünf Meter auf dem Papier waren etwas anderes als fünf Meter in natura.

Käthe nahm einen Gummistein von einem Regal und drückte drauf. Er quietschte. »Es war übrigens ganz toll, wie du Blacky Paroli geboten hast. Das kommt nicht häufig vor.« Sie kicherte.

Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Kein ›Ist er nicht reizend‹? Das waren ja ganz neue Töne. Aber gerade über diese Sache wollte ich jetzt nicht reden. Musste ich auch gar nicht, weil Käthe so richtig in Fahrt kam. »Ich habe gelesen, dass der Name Stonehenge ›hängende Steine‹ bedeutet. Seltsam, nicht wahr? Dabei …«

Plötzlich begann ihr Gesicht zu tanzen, die Welt drehte sich, Verkaufsständer zogen kometengleich an mir vorbei. Ich holte erschrocken Luft. Nachdem ich meine Verwirrung weggeblinzelt hatte, stand ich Fabio gegenüber. Er hielt mich an den Schultern gefasst und wirbelte mich wie eine Tanzpartnerin auf den Ausgang des Shops zu. »In zehn Minuten am Bus, Frau Carstens«, rief er und winkte. Dann zwinkerte er mir zu, so nah, dass seine langen Wimpern an meiner Wange kitzelten. »Da habe ich dich gerade noch rechtzeitig gerettet, oder?«, flüsterte er.

Ich nickte, obwohl ich nicht das Gefühl gehabt hatte, gerettet werden zu müssen. »Na ja, so schlimm war es gar nicht.«

»Juna Fleming, ich habe deinen Gesichtsausdruck von weitem gesehen. Er schrie geradezu nach Hilfe! Also habe ich mich in die Menschenfluten gestürzt, um dich von der biestigen Carstens wegzuholen.«

Ich runzelte die Stirn – als biestig würde ich Käthe nun wirklich nicht bezeichnen. Zudem es sehr unhöflich gewesen war, sie mitten im Satz zu unterbrechen. Ich drehte mich um: Sie stand noch immer dort, wo wir sie verlassen hatten, lächelte etwas einsam vor sich hin und betrachtete ihre Hände. In dem breiten Gang wirkte sie mit ihrem Spitzenhaarschmuck noch kleiner und zerbrechlicher als sonst. Menschen hasteten in Paaren oder kleinen Gruppen an ihr vorbei, und sie trat zur Seite, um ihnen Platz zu machen.

»Wie hat es dir denn hier gefallen?« Fabio lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Ich riss mich von Käthes Anblick los und sah wieder nach vorn, ehe ich niedergetrampelt wurde. »Besser als erwartet. Stonehenge stand nicht ganz oben auf meiner Wunschliste, aber ich muss zugeben, dass es mich beeindruckt hat.«

»Gut.« Er streifte meinen Arm, und ein feiner Schauer lief über meine Haut. »Und weißt du nun alles über die Steine, was du wissen wolltest, oder sind Fragen offen? Nutzen Sie Ihren Reisebegleiter, Frau Fleming, ich stehe exklusiv zur Verfügung.« Er legte eine Hand auf den Rücken und verbeugte sich mit großer Geste. »Ich war schon so oft hier, ich kann sämtliche Geschichten im Schlaf herunterbeten.«

Den Reisebegleiter exklusiv nutzen? Eine nette Vorstellung. Ich nickte huldvoll und grübelte. »In der Tat gibt es da eine Sache. Ich habe vorhin erfahren, dass der Name Stonehenge so viel wie hängende Steine bedeutet. Warum ist das so? Immerhin kann man nicht leugnen, dass die Megalithen hier in den Himmel ragen.«

»Du hast vollkommen recht, mit beidem. Stonehenge kommt von stone wie Stein und henge wie hängen. Der Name stammt daher, dass die Steine über dem Grab aufragen, also quasi hängen. Du weißt, dass es ein Hügelgrab auf dem Areal gibt?«

Ich erinnerte mich an die Passage in meinem Reiseführer, die ich heute früh überflogen hatte. »Ich dachte, es wären zwei.«

»Nein, nur eines. Es ist mit zwei großen Steinen beschwert worden. Es gibt einige dieser Gräber in England und auch in Frankreich.« Er sah mich so eindringlich an, dass ich unruhig wurde. Sein Gesicht war nah an meinem, und durch den Besucherstrom, der uns entgegenkam und nicht viel Platz ließ, berührten sich unsere Arme und Schultern. »Ich hätte nicht gedacht, dass ein paar jahrtausendalte Steine dich so faszinieren, Juna.«

Er sprach meinen Namen ganz weich aus, behutsam, so als würden die Silben zerspringen, wenn er nicht vorsichtig war. Ich schluckte und hoffte, dass meine Stimme mich nicht im Stich ließ. Einfach ganz normal wirken! »Ich auch nicht. Wahrscheinlich weiß man das erst, wenn man davor steht.«

»Ja«, sagte Fabio und lief langsamer. »Das denke ich auch.« Kam es mir nur so vor, oder blickten seine Kaffeeaugen intensiver als sonst? Sein Blick schien mich zu verschlingen, und das ließ mein Herz schneller schlagen. Flirtete Fabio etwa mit mir? Ich öffnete meinen Mund, brachte aber keinen Ton heraus.

Fabio hob einen Mundwinkel. Kein Lächeln, sondern eine Botschaft, die ich ahnte, aber nicht komplett verstand. Oder doch? Natürlich verstand ich sie, und zwar ganz genau, aber ich … normalerweise machte ich so etwas … ich kannte ihn doch erst seit … ach verdammt!

Ganz in der Nähe dröhnte eine Hupe. Die eines großen Autos. Oder … eines Busses.

»Fabio! Beweg dich gefälligst schneller, du musst die Liste abhaken, die Leute warten schon!« Herr Wewers klang genervt. Also wie fast immer. Ich war nicht sicher, ob ich ihm dankbar oder sauer sein sollte.

Fabio stöhnte leise, schenkte mir einen letzten, intensiven Blick, murmelte eine Entschuldigung und joggte los. Ich kämpfte meine Enttäuschung nieder und schlenderte langsam hinterher. Dabei musterte ich die Traube an der Bustür und nutzte die restliche Zeit bis zur Abfahrt, um die Damentoilette aufzusuchen.

Als ich zum Bus zurückkehrte, redeten Rudi und Hermann mit Händen und Füßen auf eine Gruppe junger Männer ein, die sich als waschechte Engländer auszeichneten: Sie trugen Shirts mit dem Aufdruck ›Manchester Rowing Team‹ und hatten bei dem Wetter nicht einmal eine Gänsehaut. Starkes Stirnrunzeln, Schulterzucken und Schweigen verriet zudem, dass es um die Englischkenntnisse meiner Landsmänner nicht sehr gut bestellt war. Ich ließ die beiden machen und stieg ein.

Käthe saß bereits auf ihrem Platz. Ich verstaute meine Jacke, kletterte über ihre Beine und machte es mir bequem. »Tut mir leid, dass wir Sie vorhin im Shop so stehengelassen haben. Aber …« Ja was aber? Mir fiel nicht einmal eine Begründung ein, und im Nachhinein schämte ich mich.

Käthe wehrte ab. »Ach, das war doch nicht schlimm. Ich werde doch die jungen Leute nicht abhalten, miteinander zu plaudern. Immerhin musst du es die ganze Zeit mit den alten Kalibern aushalten.« Sie zeigte erst auf sich, dann nach vorn.

Ich schwieg, da Widerspruch schließlich eine Lüge gewesen wäre. Trotzdem wollte ich etwas tun, um Käthe ein wenig zu entschädigen und mich mit meinem Karma zu versöhnen. Mittlerweile kannte ich meine Sitznachbarin gut genug, um zu wissen, dass ihr nichts mehr Freude bereitete als ein Gespräch.

»Wussten Sie, dass das hängen in Stonehenge daher kommt, dass die...

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