Spirit Animals 2: Die Jagd beginnt

Spirit Animals 2: Die Jagd beginnt

von: Scholastic Inc.

Ravensburger Buchverlag, 2015

ISBN: 9783473476596

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 2460 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Spirit Animals 2: Die Jagd beginnt



GREENHAVEN

„Ich bin gleich so weit, Uraza“, sagte Abeke und schob ein geflochtenes Armband über ihr schmales braunes Handgelenk. Ihre Worte galten der Leopardin, die an der Türseite des Zimmers auf- und abging. Weil das Zimmer zu klein für sie war, musste sie jedes Mal schon nach wenigen Schritten umkehren. Sie knurrte gereizt.

Abeke verstand ihre Unzufriedenheit. Innerhalb weniger Wochen war auch ihre eigene Welt drastisch geschrumpft. Aus ihrer Heimat, den weiten Savannen Nilos, war sie mit Uraza zuerst in ein Ausbildungslager gereist und dann hierher zu dieser Inselfestung. Greenhaven war das Hauptquartier der Grünmäntel, der Hüter Erdas’. Die steinerne Burg thronte zwar majestätisch über einem Wasserfall, aber Abeke wie auch Uraza fanden den Wald der Umgebung sehr viel verlockender.

Durch das Fenster war das entfernte Läuten einer Turmglocke zu hören. Drei Schläge riefen sie zum Training.

Uraza lief schneller und knurrte lauter.

„Bin schon fertig!“ Abeke befestigte das Armband, damit es nicht über die Hand rutschen konnte. Die einzelnen Stränge sahen aus wie Draht, waren in Wirklichkeit aber die gekochten Schwanzhaare eines Elefanten. Vier Knoten symbolisierten Sonne, Feuer, Wasser und Wind. Abekes immer pefekte Schwester hatte es ihr bei der Abreise geschenkt. Es brachte angeblich Glück.

Aber Abeke hatte ihre Zweifel, ob sie wirklich Glück gehabt hatte. Zwar hatte sie ein sagenhaftes Großes Tier aus den Legenden gerufen, aber gleich danach war sie von Anhängern des Großen Schlingers abgeholt worden, der sich die ganze bekannte Welt unterwerfen wollte. Das war ziemliches Pech gewesen.

Abeke hatte jedoch noch rechtzeitig gemerkt, dass sie den Falschen auf den Leim gegangen war, und die Grünmäntel hatten sie bereitwillig in ihre Reihen aufgenommen. Darüber hätte sie sich eigentlich freuen müssen, denn der Orden hätte sie zurückweisen können. Aber im Moment fühlte sie sich einsam. Seit Beginn ihres großen Abenteuers hatte sie nur einen einzigen Freund gefunden – Shane – und der stand nach wie vor auf der gegnerischen Seite, der Seite der Eroberer. Dafür hatte sie nun zwar drei neue Gefährten, doch die wollten ihr noch nicht so recht trauen, weil sie eine Zeit lang dem Einfluss des Schlingers ausgesetzt gewesen war und nun genauso gut eine Spionin hätte sein können. So musste sie ganz allein lernen, sich in der riesigen Burg der Grünmäntel zurechtzufinden.

Sie öffnete die Tür ihrer Kammer und hängte sich den grünen Mantel um, das sichtbare Zeichen ihres Gelübdes, Erdas zu verteidigen. Sie trat in den schummrigen Gang, der von Geräuschen erfüllt war. Irgendwo oben kreischte ein übermütiger Affe, dann war die tiefe Stimme eines Mannes zu hören. Ein Esel wieherte, Hufgetrappel und laute Schritte drangen von draußen herein, ein bananengelber Vogel flog über Abekes Kopf hinweg. Sie duckte sich.

Uraza dagegen sprang beim Anblick des Vogels mit einem begeisterten, aber sehr drohend klingenden Knurren hoch. Der Vogel kreischte, aber kurz bevor Uraza ihn mit den Pfoten zu fassen bekam, packte Abeke ihr Seelentier am Schwanz.

Jaulend landete die Raubkatze auf dem Boden. Sie fuhr herum und bleckte instinktiv die Zähne.

Abeke stockte der Atem. Da merkte Uraza erst, dass es Abeke war, die ihren Schwanz festhielt. Sie schloss das Maul und blickte Abeke tief gekränkt an. Der Vogel machte sich davon.

„Entschuldige, dass ich dich festgehalten habe“, sagte Abeke. „Aber das war ein Seelentier!“

Ein Großes Tier musste eigentlich wissen, dass man Seelentiere anderer Menschen nicht fressen durfte. Aber Uraza war manchmal leider mehr Tier als groß.

„Komm her zu mir“, sagte Abeke und hielt Uraza auffordernd ihren Arm hin. Wie alle Seelentiere konnte auch Uraza sich in eine Art Ruhezustand versetzen. Dann erschien sie nur als Tattoo auf Abekes Arm. Der Vorteil war, dass sie in diesem Zustand keinen Unsinn machen konnte.

Doch das Tier musterte Abekes Arm nur kurz, wandte sich ab und stolzierte den Gang entlang.

Abeke hatte keine Lust auf einen Streit, sie kamen sowieso schon zu spät zum gemeinsamen Training der Gefährten. Stumm eilte sie Uraza hinterher. Sie begegnete mehreren Grünmänteln, die ihr freundlich zuwinkten. Aber Abeke schienen die Männer noch so fremd, dass sie ihren Gruß nicht erwiderte. Ähnlich fremd waren ihr noch immer die anderen drei Neuankömmlinge auf der Burg, Rollan, Meilin und Conor. Wie Abeke war es auch ihnen auf wundersame Weise gelungen, eins der vier Gefallenen Tiere herbeizurufen.

Uraza sprang eine Wendeltreppe hinunter und machte dabei ein seltsam trillerndes Geräusch. Abeke folgte ihr. Unten angekommen, zögerten beide. Vor ihnen zweigten zwei vollkommen identische Gänge ab, beide weiß getüncht und mit Holzdecke. Welcher von beiden führte nun zum Trainingsraum?

„Uraza?“, fragte Abeke. Urazas violette Augen wanderten vom Boden zur Decke und ihr langer Schwanz schlug zuckend hin und her.

Abeke hatte plötzlich das Gefühl, dass die Leopardin gar nicht überlegte, in welche Richtung sie gehen sollten. Sie sah eher aus wie ein Jäger, der gleich …

Da stieß sich Uraza auch schon mit ihren geschmeidigen Gliedern vom Boden ab und flog wie ein schwarz-goldener Blitz durch die Luft. Zugleich ließ sie ein Knurren hören, das Abeke durch Mark und Bein ging. Was für ein großartiges Tier!, dachte sie. Dann sah sie, wen Uraza im Visier hatte. Ihr armes Opfer kauerte angststarr in einer Wandnische: ein kleines, eichhörnchenähnliches Geschöpf mit rosafarbenen Füßen, einem dunklen Streifen auf dem Rücken und großen Augen. Ein Gleitbeutler, erkannte Abeke sofort. Für die Leopardin der reinste Leckerbissen.

„Uraza!“ Abeke versuchte erneut, die Leopardin am Schwanz zu packen, um sie zurückzuhalten, griff aber knapp daneben. Der Gleitbeutler setzte zum Sprung zur gegenüberliegenden Wand an. Im Gleiten streckte er seine zarten Gliedmaßen nach allen Seiten aus. Die Beine waren durch eine Membran miteinander verbunden, deshalb sah sein Rumpf aus wie ein behaartes Segel.

Uraza machte einen Satz, doch ihr Opfer wich blitzschnell aus. Die beiden rasten weiter. Der Gleitbeutler sprang auf einen Tisch, Uraza stieß das Möbel um. Daraufhin kletterte der Gejagte einen Wandteppich hinauf, der Olvan zeigte, den Anführer der Grünmäntel. Uraza riss mit ihrer Pranke den Teppich von der Wand. Abeke rannte ihrer Leopardin nach. Sie bekam zwar tatsächlich Urazas Hinterlauf zu fassen, doch das Raubtier riss sich sofort wieder los. Nur ein schwarz-goldenes Haarbüschel blieb in Abekes Hand zurück.

Die Jagd ging weiter. Zu dritt rannten sie den Gang entlang und durch einen kleinen Speisesaal, den Abeke noch nicht kannte. Überall saßen Grünmäntel beim Frühstück. Der Gleitbeutler und Uraza sprangen über den langen Tisch, Abeke sauste an der Seite entlang. Teller flogen durch die Luft, ein Mann bekam seinen Haferbrei ins Gesicht, ein anderer schützte die Augen mit der Hand vor einer Ladung durch die Luft fliegender Früchte. Empört blickten die Grünmäntel von ihrer Mahlzeit auf.

Abeke spürte ihre Blicke auf sich. Am liebsten hätte sie gerufen: Uraza ist schuld, nicht ich! Aber sie wusste, was die anderen auf diese Ausrede erwidern würden:

Du bist für dein Seelentier zuständig.

Hast du es etwa nicht im Griff?

Du bist verantwortlich!

Es ist deine Schuld.

Vielleicht gehörst du doch nicht zu uns.

Sie hatte keine Zeit, sich zu entschuldigen oder aufzuräumen. Keuchend rannte sie den Tieren durch die Burg hinterher, bis sie einen breiten Flur mit einer großen Bogentür am anderen Ende erreichten. Der Gleitbeutler gab in seiner Panik herzzerreißende Jammerlaute von sich, die an das Quietschen eines Schaukelstuhls erinnerten.

Japsend holte Abeke Luft. In ihrer Heimat Nilo konnte sie stundenlang Tiere verfolgen, ohne außer Atem zu geraten. Jetzt hatte sie Seitenstechen. Was machte dieser fremde Ort nur mit ihr? Nahm er ihr die Kraft?

„Uraza! Wir sind doch hier, um andere zu retten, nicht um sie zu fressen … Also spar dir deinen Appetit bitte für später auf!“

Uraza hielt für einen kurzen Augenblick inne. Der Gleitbeutler nutzte sofort seine Chance und brachte sich durch einen Sprung zu einem Kronleuchter hinauf in Sicherheit. Abeke war darüber mindestens so erleichtert wie das arme Tier.

Uraza drehte unter dem Kronleuchter ihre Kreise, aber die Jagd war vorbei. Dafür haben wir uns jetzt hoffnungslos verirrt, dachte Abeke niedergeschlagen.

Aber das war nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war die Verspätung. Die Lehrer hatten zwar meist Nachsicht, aber die anderen Kinder würden glauben, dass es ihr mit der gemeinsamen Mission nicht ernst war. Sie hatten längst mit der Ausbildung begonnen, als Abeke noch in den Fängen des Schlingers gewesen war. Und wahrscheinlich unterstellten die anderen ihr auch jetzt schon wieder alles Mögliche. Dass sie in der Burg herumspionierte. Dass sie Zerif, der sie nach der Nektarzeremonie abgeholt hatte, heimlich Botschaften schickte. Oder dass sie Uraza erlaubte, die Seelentiere anderer Menschen zu fressen.

Obwohl Abeke es also sehr eilig hatte, wurde sie von der Bogentür magisch angezogen. Sie konnte eigentlich nur in einen geschlossenen Raum führen, doch Abeke war, als gelange man dadurch zugleich auf geheimnisvolle Weise nach draußen.

Hinter der Tür herrschte schummriges Licht. Der Raum war mit Musikinstrumenten und Kunstgegenständen vollgestellt. Mehrere Spiegel hingen an...

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