Doktorspiele - Die Sexualität des Kindes

Doktorspiele - Die Sexualität des Kindes

von: Barbara Burian-Langegger

Picus, 2005

ISBN: 9783711752673

Sprache: Deutsch

204 Seiten, Download: 1429 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Mehr zum Inhalt

Doktorspiele - Die Sexualität des Kindes



Paulus Hochgatterer

Was macht die Pfefferpistole in der Villa Kunterbunt?


Ein Versuch über Sexualmetaphorik in der Kinderliteratur


Soll von Metaphorik die Rede sein, so ist das meistens ein wenig wie Zitronenlutschen: man weiß, dass es angeblich gesund ist, man fühlt sich zu Beginn auch durchaus erfrischt, auf der Zunge wie cerebral, und nach relativ kurzer Zeit fängt dann alles an, sich zusammenzuziehen. Die Dinge verknoten sich zu kugeligen, kaum mehr entwirrbaren Gebilden, und man landet im Nu dort, wo man in der Geisteswissenschaft im Grunde immer schon gelandet ist, bei der eigenen begrifflichen Insuffizienz. Dabei kann man sich wenigstens auf Sokrates berufen – »ich weiß, dass ich nichts weiß« –, und das fühlt sich auf der narzisstischen Identifikationsebene nicht so schlecht an. Man fragt sich also, wie das war mit Metapher und Metonymie, gräbt vielleicht aus der Erinnerung aus, dass man »das Blau« statt »der Himmel« sagen kann oder »der Stahl« statt »das Schwert« und es sich bei letzterer zwar um eine martialische Metonymie, nichtsdestoweniger in beiden Fällen um Metonymien, handelt, wohingegen man eine Metapher schafft, wenn man das arme Kamel zum »Wüstenschiff« macht. Das wiederum hat, so unsere Gedächtnisspur, zu tun mit dem Ausmaß an stofflicher Distanz zwischen dem symbolischen Begriff und dem Bezeichneten, was notwendigerweise zur bangen Frage führt, wie denn das Symbol unterzubringen ist zwischen Metapher und Metonymie, und ob über Metaphorik zu sprechen nicht auch heißt, sich mit »Signifikant« und »Signifikat« zu befassen, jenen eineiigen Zwillingen, von denen man weiß, dass man sie in diesem Leben nicht mehr auseinanderhalten wird können. Schrecken gebiert vorwiegend seinesgleichen, das ist einem vertraut und daher wehrt man sich erst gar nicht gegen die Erkenntnis, dass man selbst mit der Einordnung der metapherntheoretisch befassten Disziplinen wieder einmal seine liebe Not hat: Linguistik, Semiotik, Semantik, Syntaktik, Pragmatik, Grammatik, – wer macht eigentlich was? Man stellt im Vorbeigehen eine alliterative Verwandtschaft zwischen »Sema«, dem Zeichen, und »Semen«, dem Samen, fest und beschließt, zu tun, was man im Angesicht der intellektuellen Niederlage sinnvollerweise tut: man schlägt nach. Man nascht also bei Blumenberg, Cassirer, Chomsky, Eco, Lacan, Pasolini und wie sie alle heißen, jeweils nur kleine Häppchen, versteht sich, und endet dennoch wieder einmal dort, wo man bei derlei Gelegenheit regelmäßig endet; einerseits bei der – vor allem für einen pragmatischen Poeten – ziemlich beruhigenden Bemerkung des Philosophen Joachim Ritter, Theorie werde vorwiegend dann gemacht, wenn sonst nichts mehr zu machen sei; andererseits bei jenem Beispiel, mit dem Umberto Eco in seinem semiologischen Buch »Segno« (Zeichen) versucht, sich von der britischen Verstocktheit Bertrand Russells abzugrenzen und zugleich das logische Konstrukt des kontrafaktischen Konditionals zu erklären:

Die Implikation /Wenn meine Großmutter Räder hätte, wäre sie ein Auto/ ist in der Sprache des Logikkalküls dann wahr, wenn

meine Großmutter keine Räder hat und kein Auto ist;

meine Großmutter keine Räder hat, aber ein Auto ist;

meine Großmutter Räder hat und ein Auto ist.

dass Wahrsein aus dem Blickwinkel der Logik mit Wahrsein auf Basis empirischer Annahmen nichts zu tun hat, mag man einräumen. Trotzdem ist es ein Stück schade, dass die Implikation ausgerechnet dann falsch ist, wenn

meine Großmutter Räder hat, aber kein Auto ist.

Meine Großmutter hatte nämlich Räder, zumindest eine Zeit lang, und sie war definitiv kein Auto, sondern nur ein bisschen gelähmt. Davon hat Herr Eco freilich nichts gewusst, und man kann das auch nicht verlangen. Bewusst war ihm hingegen sicher, dass dieser Satz nicht primär als Metapher angelegt ist, etwa für die Mobilität älterer Damen oder für den Erhaltungszustand mancher Automobile. Bewusst war ihm möglicherweise auch, dass das Beispiel trotzdem zur Metapher wird, nämlich genau dafür, dass Metaphorik wenig zu tun hat mit eindimensionalen semiologischen Zeichen-Bedeutungs-Konstrukten, sondern viel eher mit Vielfalt, Humor und dem Umgang mit Paradoxa. Das hat er uns allerdings verschwiegen, aber dass er uns gelegentlich Dinge verschweigt, ist uns ja spätestens seit dem »Namen der Rose« vertraut.

Immerhin sind wir bei zwei Dingen angelangt, die uns beschäftigen werden, das eine kurz und gleich, das andere ein wenig länger und später, beim Umgang mit Paradoxa und bei Großmüttern.

Kurz und gleich, Paradoxa. Die Metapher stellt insofern in sich etwas wie ein kleines Paradoxon dar, als sie begrifflich auf sich selbst verweist – nach dem bewährten Motto »Die wahren Kenner unserer Elche sind meistens selber welche« –, bedeutet meta pherein im Griechischen doch so viel wie »über tragen«, und in unserem Fall sind nicht Wasserkrüge oder Krankheiten gemeint, die den Besitzer wechseln, sondern eben Bedeutungen. Die Metapher ist zweitens insofern ein Paradoxon, als sie auf der einen Seite stets mit Verschiebung und Verdichtung zu tun hat, also mit jenen Mechanismen, die wir auch aus der Analyse unserer Träumen kennen, auf der anderen Seite mit dem Eröffnen von Räumen für Mehrdeutigkeit und phantasmatisches Spiel mit Bildern und Begriffen. Die Metapher wird schließlich dadurch zum Paradoxon, dass sich anhand von ihr die beiden großen Fragen der sprachlichen Welterschließung stellen: »Wie sind die Dinge eigentlich zu benennen?« und »In welcher Weise manifestieren sich die Dinge durch Sprache?«; das heißt, die Metapher liegt gewissermaßen am Schnittpunkt von Semiotik und Hermeneutik. Semiotik, Hermeneutik: Schon sind wir wieder bei unserem Disziplinenproblem und damit beim Reflex, uns die Decke über den Kopf zu ziehen. Dort wollen wir allerdings letztlich auch hin, unter die Decke.

Davor noch ein kleiner Zwischenschritt. Die Metapher in ihrer paradoxen Vielschichtigkeit, in ihrer Rolle als Überträgerin von Bedeutung und als Evokateurin von Phantasmen ist natürlich – und dort wollen wir ebenfalls hin – vor allem eines: Sie ist – metaphorisch gesprochen – die Hebamme der Narration und die Hauptspeise der Poesie. Wenn es nun hier und heute um Erzählung und poetische Weltverzauberung im Zusammenhang mit Metaphorik geht und man sich in einer Situation befindet, in der man sich ein wenig Psychoanalyse leisten kann, fällt einem natürlich Sigmund Freud ein, – »Jenseits des Lustprinzipes« –, und die Holzspule mit dem Bindfaden, die sein eineinhalbjähriger Enkel Ernst Wolfgang mit der Bemerkung »ooooo« (»fort«) im Gitterbett verschwinden lässt, um sie gleich darauf mit »da« wieder hervorzuholen, die letztlich zum Repräsentanten der abwesenden Mutter auf der einen und zu jener Spindel auf der anderen Seite wird, um die der junge Mann seine Traurigkeit windet. Die Mutter ist weg, das Gefühl ist mächtig vorhanden. An der Schwelle zur sprachlichen Eroberung der Welt wird daraus ein Symbol, – »fort, da«. Der Großvater ist dabei und macht eine Geschichte daraus. Die Mutter des kleinen Knaben, Freuds Tochter Sophie, war übrigens vier Jahre später ganz fort, soll heißen, gestorben. Unmittelbar danach wurde der Todestrieb geboren; ob das eine ursächlich mit dem anderen zu tun hat, darüber streiten nach wie vor die wirklich gescheiten Menschen.

Die Mutter ist weg. Das kennen wir aus einer ganz anderen Situation. Das Kind liegt im Bett, eingehüllt in die Decke, imaginiert sich eine Höhle herbei oder hat sich tatsächlich eine gebaut. Das Bettzeug riecht vielleicht noch ein klein wenig nach Lenor und das Nachtgewand auf der Haut fühlt sich wunderbar an. Es prickelt dort und da, oben und unten, außen und innen; draußen, wo es stockdunkel ist, lauern unbenennbare Gefahren, und ganz nahe, wo vielleicht die Lampe brennt, passiert etwas, das ein wenig mit Verbotenem zu tun hat und ganz, ganz viel mit Lust. – Sie haben alle Recht: Das Kind liest.

Sie haben es getan, ich habe es getan, Sie vielleicht mit Taschenlampe unter der Decke, ich nicht, denn mein Vater war Deutschlehrer und Lesen war vermutlich das einzige, das bei uns zu Hause auch unter ordentlicher Beleuchtung bis spät in die Nacht hinein gestattet war. Sie haben es genossen, ich habe es genossen, sie haben das Prickeln gespürt, ich auch. So oder so, das Lesen selbst scheint bereits zu sein, was – so die Grundannahme dieses Aufsatzes – in Kinderbüchern drinsteckt, nämlich Sexualmetapher: voller Sinnlichkeit, auf die Errichtung eines ordentlichen Spannungsbogens abzielend, von Intimität und Imagination lebend et cetera et cetera – und hintennach schläft man entspannt ein.

Bevor wir selbiges tun, nämlich entspannt einschlafen, begeben wir uns ein wenig in gefährliche Zonen, soll heißen, ein paar Schritte zurück in jene Lebensphase, in der Kinder...

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