Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse

Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse

von: Reinhard K. Sprenger

Campus Verlag, 2021

ISBN: 9783593448985

Sprache: Deutsch

323 Seiten, Download: 1216 KB

 
Format:  EPUB

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Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse



Der Sprachnebel der »Motivation«


»Motivieren – aber richtig!« – »Erfolgreich motivieren« – »Motivationshilfen für die Praxis«, so lauten die Titel einiger Meter Aufrüstungsliteratur, die zum Thema Mitarbeitermotivation erschienen sind. »Erfahrung in der Motivation von Mitarbeitern« ist eine der meistgeforderten Qualifikationen in Stellenanzeigen für Führungskräfte.

»Motivieren können« gehört damit zweifellos zu den vorrangigen Managementfähigkeiten. Kaum ein Training, in dem lerntheoretische oder psychologische Motivationstheorien nicht im Mittelpunkt stehen; kaum eine Führungslehre, kaum ein Aufsatz über Führung, in dem nicht ein Kapitel dem »leistungssteigernden Antreiberverhalten« der Vorgesetzten gewidmet ist. Arbeit am Mythos.

Leistungssteigerung – das ist das Ziel der Anstrengung. Es setzt voraus, dass da etwas zu steigern ist und dass es sinnvoll ist, dies zu tun. Das treibt mitunter skurrile Blüten: »Trance-Motivations-Cassetten« eines Münchener Anbieters versprechen dem Anwender, durch »gezielte Motivation des Unterbewusstseins seine gesteckten Ziele … zu erreichen«. Je nach Bedarf: »Befreiung von Schuldgefühlen«, »Schluss mit dem Haarausfall«, »Ich werde geliebt«. Seither flattern die Haare, rauschen die Liebesschwüre auf den Chefetagen …

Synonym für Führung


»Motivation« ist heute ein Schlüsselwort, geradezu ein Synonym für »Führung«. Zugrunde liegt die Vorstellung von etwas latent Vorhandenem, der Motivation nämlich, die unausgeschöpft vor sich hin dümpelt, bis sie durch geeignete Intervention (Führung) »angefacht« wird, um alsdann wieder in die Latenzphase abzusinken, weil der Mensch halt zur Trägheit neige.

»Motivieren« hat daher etwa diesen Bedeutungsumfang:

  1. Jemanden mit Motiven ausstatten, die dieser vorher nicht hatte.

  2. Jemanden bei seinen Motiven »abholen« und Möglichkeiten zu ihrer Realisierung bieten.

  3. Verhaltensweisen mit subjektiver Bedeutung/Wichtigkeit aufladen.

  4. Begeisterung entfachen.

  5. Anreizen.

Wenn Führen heißt, Mitarbeiter zielbezogen zu lenken, so ist die Verbindung mit Motivieren auch sprachgeschichtlich (lat.: movere = bewegen) belegt. Und dennoch ist diese Nähe irreführend, ob nun bewusst eingesetzt oder verschämt ignoriert. Denn Motivation ist ein komplexer und vieldeutiger Begriff.

Motivation – Motivierung


Mit dem Wort »motivation« können Amerikaner etwas anfangen; die Eindeutschung ist unscharf: Gemeint sind die Beweggründe als eine Antwort auf das »Warum« des Verhaltens. »Wie auch immer Motivation definiert werden mag, ihr Studium betrifft die Begründung menschlichen Verhaltens, meint immer dasjenige in und um uns, was uns dazu bringt, treibt, bewegt, uns so und nicht anders zu verhalten.« So ein Handbuch-Artikel. In diesem Sinne geht das Nachdenken sogar zurück auf eines der frühesten Dokumente der Motivationsforschung: die Bibel.

Heutige Organisationspsychologen und Verhaltensforscher fragen: »Warum wählt ein Mitarbeiter diese Firma und nicht vielmehr jene?« – »Warum ist er engagiert bei dieser, weniger bei jener Arbeit?« – »Warum strengt sich Herr Meier nicht mehr an, obwohl doch eine so attraktive Incentive-Tour auf ihn wartet?«

Unter Motivation wird also zunächst der Zustand aktivierter Verhaltensbereitschaft des Mitarbeiters verstanden. Hohe Leistung erbringt der Mitarbeiter, weil er sich für die Arbeit selbst (intrinsisch) interessiert. Dies ist die eigentliche »Motivation« im reinen Wortsinn. Verfolgt man den Ursprung des Wortes (lat.: in movitum ire = in das einsteigen, was [den Menschen] bewegt), so kann man dieses »Einsteigen« zweifellos als rezeptives »Verstehen« der Beweggründe interpretieren. Man kann es aber auch als ein interessegelenktes »Aufgreifen« und »Ausnutzen« interpretieren und daraus nicht nur die Möglichkeit, mehr noch die Notwendigkeit effektiven und verantwortungsbewussten Führens ableiten.

Genau hier springt die Katze kreischend aus dem Sack: Während die Motivationspsychologen im »Warum« herumstochern, fragen die Manager händeringend nach dem »Wie«. »Wie bekomme ich die maximale Arbeitsleistung meiner Mitarbeiter?« – »Wie kann ich der inneren Kündigung vorbeugen?« – »Wie motiviere ich meine Leute dazu, Überstunden zu machen?«

Das Interesse des Managers ist also nicht, warum etwas passiert, sondern wie Verhalten zu beeinflussen ist. Dass er dafür in Zeiten unterschiedlicher Motivationslagen auch in die Niederungen des »Warum« einsteigen muss, um dort, am Individuum anknüpfend, umso wirkungsvoller die Leistung des Mitarbeiters zu steigern, verkompliziert die Sache. Die intensive Nachfrage nach Trainingsangeboten der Marke »How to« ist das Resultat.

Die Suche nach Erfolgsrezepten aber muss scheitern: Sie sind viel zu starr für eine sich permanent wandelnde Umwelt. Sie ignorieren die wesentliche Voraussetzung: die individuelle Persönlichkeit der Führungskraft. Sie ermöglichen lediglich Zugewinn an Verbalmacht, der von den Seminarteilnehmern allerdings als hilfreich begrüßt wird. Und sie blenden – last, but not least – alle Spätfolgen der »erfolgreichen« Motivierung aus.

Unter Motivation wird also auch das Erzeugen, Erhalten und Steigern der Verhaltensbereitschaft durch den Vorgesetzten beziehungsweise durch Anreize verstanden. Hier wird Leistung erbracht, weil der Mitarbeiter von außen (extrinsisch) angereizt, schlicht bezahlt wird. Für diese Fremdsteuerung verwende ich den Terminus »Motivierung« in deutlicher Abgrenzung von der Eigensteuerung des Individuums. Ich nutze dabei die Möglichkeiten der deutschen Grammatik, die bei Verbalsubstantiven mit dem Suffix »-ung« den Ablauf eines Geschehens kennzeichnet (Isolierung, Zivilisierung), hingegen mit dem Suffix »-(t)ion« eher zustandsbeschreibende Verbalabstrakta (Isolation, Zivilisation) bildet.

Motivation verhält sich also zur Motivierung wie das Warum zum Wie. Beide sind voneinander abhängig und können daher nicht getrennt betrachtet werden. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich die sprachliche Unterscheidung durchsetzt. Für das Folgende aber ist sie unverzichtbar.

Einflüsterungen


»Motivation« – ein sprachlicher Faltenwurf, der die Nähe eines Gedankens ahnen lässt, ohne ihn zu offenbaren. Ich habe früh gespürt, dass er Peinlichkeiten überspielen soll.

Ebenso schamhaft wie bezeichnend nämlich verschleiert die Verwendung des Wortes den Problemkern: Die übliche Sprachverwendung bindet die Einstellungsweise des Geführten schlankweg mit dem absichtsvollen Handeln des Führenden (als dessen Ergebnis die Motivation ja erst entstehen soll) zusammen. Ziel und Weg fallen in eins.

Eine ungenaue oder doppeldeutige Verwendung eines Begriffs bietet dem Missbrauch keinen Widerstand. Aber die verächtliche Weigerung, ihn zu präzisieren, wie man sie in der Managementliteratur antrifft, leistet dem Missbrauch nicht nur weiteren Vorschub, sondern hat System, weiß sich mindestens guter Gründe sicher. Einer dieser Gründe zielt auf das klassische Vorbild der ewig erfolgreichen Führungskraft. So wie die Tätigkeit der motivierenden, nach vorne treibenden Führungskraft unvermittelt mit der Einstellung des Mitarbeiters zusammengebunden wird, flüstert dieses Denken die Zielerreichung als nie gefährdete Selbstverständlichkeit ein: »Der Vorgesetzte muss nur etwas Motivierendes tun, dann stellt sich zwangsläufig die Motivation des Mitarbeiters ein.« Transportiert wird so die Zielerreichungskompetenz der exzellenten Führungskraft, die zwar im Übrigen Mittel und Wege findet, ihnen aber jeden Eigenwert abspricht. In diesem Denken gleicht die Führungskraft dem Metzger, der schon Würste sieht, wo noch Schweine laufen.

Der übliche Sprachgebrauch vermittelt darüber hinaus: »Ihr seid als Führungskräfte verantwortlich für die Motivation eurer Mitarbeiter!« Dies entspricht wiederum dem allseits favorisierten Bild des »machenden«...

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