Babys brauchen Väter - Das ABC der Vater-Kind-Bindung

Babys brauchen Väter - Das ABC der Vater-Kind-Bindung

von: Richard Fletcher

Hogrefe AG, 2013

ISBN: 9783456753010

Sprache: Deutsch

172 Seiten, Download: 643 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Babys brauchen Väter - Das ABC der Vater-Kind-Bindung



[10][11]1

Bindung – wie Väter den Kontakt zu ihren Babys herstellen

Wenn Sie ein Vater wären, der sich eine feste, positive Bindung zu seinem Kind wünscht, welche Art von Informationen wäre hilfreich? Etwas darüber zu wissen, was Bindung bedeutet, wie der Bindungsprozess funktioniert usw., wäre nützlich. Doch ist Bindung etwas, das wirklich eine solide wissenschaftliche Grundlage hat, oder ist es nur eine Modeerscheinung? Vielleicht sollen Eltern im einen Jahr in erster Linie Bindungen herstellen, während sich im nächsten Jahr alles darum dreht, dass sie Regeln aufstellen und dem Kind zeigen, wer hier der Chef ist, oder ihm eine bestimmte Weltsicht vermitteln. Und gibt es nur eine einzige Form von Bindung oder viele verschiedene Varianten? Angenommen, man leistet Pionierarbeit und bildet eine feste Bindung zu seinem Nachwuchs heraus – wer sagt, dass das Ganze etwas bringt? Es wäre praktisch, wenn man nicht gerade eine Garantie, aber zumindest eine gewisse Vorstellung davon bekommen könnte, was von einer Vater-Kind-Bindung zu erwarten ist.

Schließlich wären da natürlich auch noch die praktischen Details. Was muss man ganz konkret tun, wenn es um den Bindungsprozess geht? Gibt es obligatorische Aktivitäten wie Kuscheln oder Küssen? Zählt es auch, wenn man die Kleinen mit zum Fußball nimmt? Wird die Anzahl der Stunden, die man seinen Sprösslingen bei den Aufführungen der Schultheatergruppe zuschaut, positiv angerechnet? Einige praktische Richtlinien und handfeste Erklärungen, wie es funktionieren soll, könnten den Job eines frischgebackenen Vaters um vieles leichter machen.

[12]Wir sind an die Vorstellung gewöhnt, dass Mütter auf ihre Babys bezogen sind. Wir sehen Bilder von Säuglingen, die gestillt werden, und die enge Beziehung zwischen dem Baby und der Mutter ist offenkundig. Wir hören die Intensität des Weinens, wenn ein Baby nach seiner Mutter verlangt, und der Gedanke, dass eine spezielle Verbindung zwischen den beiden besteht, ist absolut einleuchtend. Doch was ist mit dem Vater und dem Baby?

Sich die Vater-Kind-Bindung vorzustellen, erfordert etwas mehr Anstrengung. Obwohl die Produktwerbung für Computer bis hin zu Businessanzügen heute attraktive junge Männer mit Baby im Arm zeigt, ist die starke Verbindung zwischen einem Vater und seinem Säugling weniger offensichtlich. Auch unser Wissen um die Prozesse, auf denen Bindung beruht, ist relativ neu. Psychologen, Physiologen, Kinderärzte, Hebammen und ein Heer von Forschern haben mehr als 50 Jahre gebraucht, um uns ein klares Bild davon zu vermitteln, was eine erfolgreiche Beziehungsaufnahme zwischen einem Baby und seiner Mutter ausmacht.1 Die Vater-Säuglings-Bindung wird erst seit Kurzem untersucht. Es ist immer noch nicht eindeutig geklärt, wie der Bindungsvorgang bei Vätern funktioniert; in mancherlei Hinsicht scheint er identisch mit der Entwicklung der Mutter-Säuglings-Bindung zu sein, aber es bestehen auch Unterschiede. Wie sich herausstellt, ist Vatersein nicht dasselbe wie Muttersein. In diesem Kapitel erkläre ich den Bindungsprozess. Die Darstellung stützt sich auf die Erkenntnisse, die aus der Forschung mit Müttern hervorgegangen sind, aber auch für Väter gelten; anschließend bringe ich die vaterspezifischen Aspekte ins Bild.

1.1

Die Bedeutung des Bindungsprozesses

Zu der Erkenntnis, dass Säuglinge eine besondere Art der Bindung zu ihrer Bezugsperson brauchen, gelangte man bei der Beobachtung, dass Krankenhäuser und Waisenhäuser auf spektakuläre Weise bei dem Versuch scheiterten, Babys am Leben zu erhalten: Als man sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend bewusst wurde, auf welchen Wegen Infektionen sich ausbreiten, führte man spezielle Kinderstationen ein, auf denen die Säuglinge voneinander isoliert wurden. Diese neuen Stationen verhinderten die Übertragung [13]zahlreicher Krankheiten, doch die Sterberate blieb trotzdem alarmierend hoch. In den 1950er-Jahren lagen dann genügend Beweise vor, um das System, Säuglinge in getrennten, abgeschirmten Bettchen in Quarantäne zu halten, ernsthaft infrage zu stellen. Eine Studie verglich zwei Einrichtungen für Säuglinge – eine, in der Babys von ihren Müttern gefüttert und versorgt wurden, und eine andere, in der das Personal die Versorgung der Babys übernahm, wobei eine Krankenschwester auf acht Babys kam.2 Beide Institutionen waren gut ausgestattet und beide befanden sich in freundlichen, geräumigen Umgebungen. Alle Säuglinge erhielten die beste medizinische Versorgung und eine Ernährung, die speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmt war. Dennoch verschlechterte sich der physische und psychische Zustand der Babys in der Institution, in der die Krankenschwestern für die Versorgung zuständig waren, im Laufe des Jahres dramatisch, wohingegen die Babys, die sich in der Obhut ihrer Mütter befanden, auf normalem Entwicklungsstand blieben.

Ein Kaiser entdeckt die Bindung3

Im 13. Jahrhundert wollte Friedrich II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (König von Jerusalem, Deutschland, Italien, Burgund und Sizilien), erforschen, welche der vielen Sprachen, die man in seinem Palast hören konnte, die ursprüngliche war – die Sprache also, die von den ersten Menschen gesprochen worden war. Auf sein Geheiß wurden Säuglinge in die Obhut von Pflegerinnen gegeben, die strenge Anweisungen erhielten – sie sollten die Kinder füttern und baden, sie aber nicht streicheln oder liebkosen. Es war ihnen strengstens verboten, mit den Babys zu sprechen oder sie bei Gesprächen zuhören zu lassen. Der Kaiser hatte die Vorstellung, dass die Kinder, wenn sie ohne Sprache aufwüchsen, von allein anfangen würden, Hebräisch, Griechisch, Latein oder Arabisch zu sprechen. Das Experiment scheiterte. Alle Babys starben. Nach einem zeitgenössischen Bericht konnten sie ohne «die Koseworte» ihrer Ammen nicht überleben.

[14]1.2

Liebevolle Zuwendung in der Bindungsbeziehung

Wenn die medizinische Versorgung allein nicht garantieren konnte, dass Säuglinge sich erfolgreich entwickelten, musste es andere wesentliche Dinge geben, die den Babys im Krankenhaus, in dem sie von ihren Müttern versorgt wurden, zuteilwurden. Das erste Bedürfnis, das klar erkannt wurde, war Stimulation. In der Einrichtung, in der sich die Mütter um die Babys kümmerten, standen den Kindern mehr Spielsachen zur Verfügung und sie hatten mehr Gelegenheit, zu beobachten, was auf der Station passierte, als die Babys, die von Krankenschwestern versorgt wurden und deren Bettchen voneinander abgeschirmt waren. Doch weitere Untersuchungen ergaben, dass die Anregung durch Spielsachen oder durch Beobachtungsaktivitäten für eine normale Entwicklung nicht ausreichte.4 Wie zu erwarten, wurde festgestellt, dass auch die Mutter entscheidenden Einfluss auf die kindliche Entwicklung hatte. Das führte zum Begriff «mütterliche Deprivation»: Er besagte, dass die Abwesenheit der Mutter sich negativ auf das Befinden des Kindes auswirkte (vom Vater war natürlich nicht die Rede – es waren schließlich die 1950er-Jahre). Durch Filmmaterial über einsame Säuglinge und Kleinkinder in britischen Hospitälern wurde die Botschaft verbreitet, wie schädlich die Krankenhausroutine sich auswirken konnte. Dies veränderte die altbekannte Praxis, dass man Müttern und Vätern keinen Zugang zu ihren Säuglingen gewährte, weil der Besuch das Kind vermeintlich «aufregte». Man erkannte auch, dass hospitalisierte Kinder nicht die einzigen waren, die sich ungünstig entwickelten – auch Säuglinge, die zu Hause lebten, aber von ihren Müttern ignoriert oder schlecht behandelt wurden, zeigten Defizite in ihrer Entwicklung. Diese Fälle in Verbindung mit jenen aus den Krankenhäusern führten zur Erkenntnis, dass Bindung eine besondere Art von Beziehung erforderte, nicht nur die Anwesenheit der Mutter. Entscheidend für eine gesunde Entwicklung des Säuglings war nicht, ob er von der Mutter getrennt war oder nicht, sondern vielmehr die liebevolle Zuwendung, die sie dem Kind zukommen ließ.

[15]1.3

Bindung hängt nicht vom Stillen ab

In den 1950er-Jahren hatten Wissenschaftler ausschließlich die Mutter im Sinn, wenn sie an Babys und Bindung dachten. Die Assoziation lag auf der Hand, weil es die Mütter waren, die ihre Kinder stillten. Das Stillen schien grundlegend für das Vertrauen und die Geborgenheit, die Babys bei ihren Müttern fanden. Doch aufsehenerregende Studienergebnisse bei kleinen Rhesusaffen, die man von Geburt an isoliert von anderen Affen großgezogen hatte, widerlegten die Theorie vom Stillen als Bindungsgrundlage zwischen Mutter und Säugling. Im Jahr 1958 präsentierte die American Psychological Association Filmaufnahmen von einem Experiment, bei dem man kleinen Rhesusaffen zwei Ersatzmütter anbot: Die eine war aus Draht und Stoff, lieferte aber keine Milch, die andere bestand nur aus Draht ohne Stoffüberzug, war aber mit Milch ausgestattet.5 Der Film zeigte, wie ängstliche...

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