Das Beste an meinem Ex war ich - Roman

Das Beste an meinem Ex war ich - Roman

von: Silke Neumayer

Ullstein, 2021

ISBN: 9783843724760

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 2551 KB

 
Format:  EPUB

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Das Beste an meinem Ex war ich - Roman



 


»In einer halben Stunde landen wir planmäßig auf dem Flughafen von Palma de Mallorca. Das Wetter ist wie vorhergesagt. 26 Grad. Leichte Wolken. Schwacher Wind aus Nordost. Wenn Sie mich fragen, ideales Urlaubswetter.

Wir wünschen Ihnen noch einen schönen und angenehmen Flug. Bitte bleiben Sie bis zur Landung angeschnallt. Wir überfliegen in den nächsten fünfzehn Minuten noch ein kleines Gebiet mit leichten Turbulenzen. Der Service an Bord wird davon nicht beeinträchtigt.«

Turbulenzen! Auch das noch. Lotte krallte sich mit der linken Hand an der Lehne fest. Rechts ergriff sie die Hand ihrer Schwester Lissy, die auf dem Fensterplatz neben ihr saß.

Lotte war eigentlich eine eher furchtlose Person, und Fliegen an und für sich machte ihr auch nicht wirklich etwas aus. Aber bei Turbulenzen hatte sie des Öfteren das Gefühl, sie würde jetzt ganz gerne einfach mal kurz aussteigen und sich die Beine auf festem Boden vertreten, bevor es rüttelnd und schüttelnd weiterging.

So eine kurze Zwischenlandung bei Turbulenzen für ein paar Snacks, die nicht Gefahr liefen, auf der Bluse zu landen, und für ein kurzes Alles-ist-gut-Gefühl wäre echter Service, für den Lotte auch gerne deutlich mehr bezahlen würde.

Sie hatte nicht richtig Angst, aber ihr Magen krampfte sich etwas zusammen, und ihr Kopf spielte das Was-wäre-wenn-Spiel. Was wäre, wenn das Flugzeug jetzt doch …? Was wäre, wenn es das jetzt mit ihrem Leben und der Liebe gewesen wäre …? Was wäre, wenn sie ihre Tochter nie mehr wiedersehen würde …? Und was würde aus all den Pflanzen in ihrer kleinen Gärtnerei werden, die sie zusammen mit Lissy von ihrem Vater geerbt hatte und die niemand so liebevoll pflegen konnte wie sie und ihre Schwester?

Lotte und Lissy waren quasi mit einem grünen Daumen geboren worden. Ihre kleine Gärtnerei war schon seit Jahren in Familienbesitz. Aber so wie es aussah, würde Lottes Tochter die Familientradition wohl nicht weiterführen.

Das Flugzeug rüttelte für ein paar Minuten etwas weniger, und Lotte hatte plötzlich genug von dem flauen Gefühl in ihrem Magen und ihrem Kopf und wurde stattdessen leicht gereizt.

Leicht gereizt zu sein war im Grunde genommen Lottes normale Gemütsverfassung.

Sie wachte meistens am Morgen etwas genervt auf, zur Mittagspause hatte sich das dann schon in ein leises grollendes »Grrrrrrrr« verwandelt, und gegen Abend war es manchmal am besten, Lotte nicht mehr deutlich zu widersprechen oder sie überhaupt nicht anzusprechen oder ihr gleich ganz aus dem Weg zu gehen.

Lotte fand ihren leicht gereizten Gemütszustand hier oben bei Turbulenzen in der Luft genauso wie am Boden zumeist mehr als berechtigt.

War ihr Leben nicht turbulent genug? Reichte das dem Schicksal nicht? Musste es sie auch noch hier in der Luft durcheinanderschütteln?

Seit ihrer Scheidung von Carl vor sieben Jahren fühlte Lotte sich eigentlich für den Rest ihres Lebens genug durchgeschüttelt. Nach 27 Jahren Ehe mit Mitte vierzig für eine deutlich jüngere Frau so mir nichts, dir nichts verlassen zu werden ist etwas, das wohl keine Frau einfach mal eben so wegsteckt.

Und dabei hatte Lotte sich ihrer Tochter zuliebe immer bemüht, das alles möglichst entspannt zu überstehen und mit Carl, ihrem Ex und Vater von Emma, nicht in einen totalen Rosenkrieg zu geraten. Oder sie hatte es zumindest versucht, das mit dem Waffenstillstand und das mit der entspannten Sichtweise von Affäre, Betrug und Scheidung.

Das gelang Lotte natürlich nicht so wirklich, aber niemand, der Lotte näher kannte, wollte ihr diese Illusion nehmen.

Die Maschine begann als Antwort auf Lottes leichte Gereiztheit wie ein Kuhschwanz beim Melken zu wackeln. Lotte hielt den Becher mit Wasser, der vor ihr auf dem Tablett stand, fest.

Lissy drückte ihr die Hand.

»Tief durchatmen, Liebes. Entspann dich. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Möchtest du noch ein paar Tropfen?«

Lissy hielt Lotte ein Fläschchen mit CBD-Öl unter die Nase.

Von diesem Öl hatte sie Lotte schon vor dem Start ein paar Tropfen auf die Zunge geträufelt. Als Prophylaxe sozusagen. Lissy kannte ihre Schwester eben ziemlich gut.

Lissy war fünf Jahre jünger als Lotte und in vielen Dingen so ziemlich das Gegenteil von ihr. Auf jeden Fall war Lissy meistens sehr entspannt. Schließlich beschäftigte sie sich ja auch ausgiebig mit allen möglichen oft leicht esoterisch angehauchten Trends. Wenn Lotte mal wieder besonders gereizter Stimmung war, dachte sie, dass Lissy sich mit Unsinn beschäftigte. Lissy hatte wohl einfach zu viel Zeit für unnötige Dinge.

»Hier, nimm einfach noch welche. Du machst mich ganz nervös, so nervös, wie du bist … Mund auf.«

Das CBD-Öl, Cannabisöl oder auch Hanföl, war Lissys neueste Wunderwaffe, um Lotte von 180 auf 128 zu bekommen. Laut Hersteller sollte das Öl auf keinen Fall high machen, aber trotzdem eine entkrampfende, entzündungshemmende und angstlösende Wirkung haben. Davon hatte Lotte zwar nichts gemerkt, aber Lissy zuliebe tat sie oft so, als würde das, was Lissy gerade an ihr ausprobierte, seine volle Wirkung in Sekundenschnelle entfalten.

So entspannt, wie Lissy manchmal war, hatte Lotte im Übrigen das Gefühl, dass sie vielleicht doch das richtige Zeug zu sich nahm und nicht nur das von psychoaktiven Substanzen befreite Öl.

Lotte schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen.

»Ich brauche keine Tröpfchen, ich brauche jetzt was Gescheites.« Lotte war so durchgeschüttelt, sie hatte keine Kraft, so zu tun, als wäre sie relaxed.

Lotte wandte sich an den Steward, der gerade Saft durch den Gang schubste.

»Könnte ich bitte einen Gin Tonic haben?«

»Aber gerne. Macht zwölf Euro 95, und wir akzeptieren kein Bargeld.«

Auch das noch. Und auch noch völlig überteuert.

Lotte fummelte nach ihrem Geldbeutel. Sie war alt genug, um sich noch daran zu erinnern, dass es früher mal Getränke – auch Alkohol – kostenlos im Flugzeug gegeben hatte. Warum konnten die Airlines nicht einfach jedes Ticket zehn Euro teurer machen und dafür die Getränke frei? Man kam sich ja vor wie in einem Supermarkt in drei Kilometer Höhe. Kein Wunder, dass die Menschen immer gereizter wurden.

Lotte fummelte weiter nach dem Geldbeutel, der in ihrer Handtasche eingeklemmt war, die wiederum unter dem Vordersitz eingeklemmt war, und stieß sich dabei den Kopf an der Rückenlehne vor ihr an.

Grrrrrrrrrr.

Lotte hatte endlich Geldbeutel und Kreditkarte gefunden, bezahlt und schüttete den Gin in den Becher mit Tonic.

Lissy blickte auf die Uhr in ihrem Handy und zog ihre linke Augenbraue ganz leicht nach oben.

»Es ist 11.56 Uhr.«

»Irgendwo ist immer Happy Hour«, antwortete Lotte etwas schnippisch und genehmigte sich einen großen Schluck.

»Und ich bin nicht nervös. Nicht wegen dem bisschen Gerüttel. Wenn, dann bin ich genervt, weil meine Tochter in zwei Wochen heiraten will. Und das mit 23. Das wärst du auch, wenn deine Tochter viel zu jung in zwei Wochen heiraten würde.«

Lissy blickte Lotte an. Lotte hatte das leichte Gefühl, Lissy war jetzt auch nicht mehr ganz so entspannt wie sonst.

Lissy holte tief Luft und sagte: »Erstens habe ich leider keine Tochter, und das nicht freiwillig, wie du ganz genau weißt. Und zweitens ist Emma wie eine Tochter für mich, was du auch ganz genau weißt. Und das nicht nur, weil ich die Patentante bin. Und drittens, finde ich, solltest du mehr auf das Karma vertrauen.«

Lotte nahm noch einen Schluck. Sie konnte das jetzt wirklich gut gebrauchen, merkte sie.

»Also, wenn deine Theorie mit dem Karma stimmt, muss ich in meinen letzten Leben eine Massenmörderin gewesen sein oder so.«

Lissy träufelte sich selbst noch ein paar CBD-Tropfen unter die Zunge, atmete einmal tief ein und aus und meinte dann zu Lotte: »Könnte sehr gut sein. Ich kenne da jemanden, der macht Rückführungen in deine früheren Leben, falls du das mal näher ergründen willst.«

Lissy hatte ja durchaus recht. Das eben war gemein von Lotte gewesen. Lissy konnte keine Kinder bekommen und war nicht eben glücklich darüber. Und ihre Schwester war die beste Tante, die man sich für sein Kind nur wünschen konnte.

Seit ihrer Scheidung erkannte Lotte sich selbst manchmal nicht mehr wieder.

Lotte konnte wirklich wegen einer Kleinigkeit hochgehen wie eine Rakete. Von null bis zum Mars in zwei Sekunden.

Sie sollte bei der NASA anheuern. Mit ihrer Gereiztheit könnte man jede Rakete in Sekundenschnelle auf den Mond bringen. Auf jeden Fall sollte sie nicht allzu oft Kundenkontakt haben. Das hatten die beiden Schwestern nach einem kleinen Vorfall in der Gärtnerei gemeinsam beschlossen.

Ein Kunde wollte eine winterharte Palme für seinen Vorgarten kaufen. Lotte musste ihm erklären, dass in Deutschland im Winter leider keine Palmen im Freien überleben. Er könnte also entweder seinen Vorgarten in die Tropen verlegen oder eine Palme in einem großen Topf kaufen und sie im Herbst für 250 Euro in der Gärtnerei bis zum nächsten Frühling...

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